Ressourcenschützer der Zukunft
Der sorgfältige Umgang mit Energie in jeglicher Form ist der Schlüssel für die nachhaltige Welt von morgen.
Im Langzeit-Projekt „¾ plus“ sparen Bremerhavener Schulen seit gut 25 Jahren Strom, Wasser und Heizung – mit beachtlichen Ergebnissen. Die Initiative des Vereins macht aus den Schülerinnen und Schülern von heute verantwortungsvolle Teamplayer für die Wirtschaft und Wissenschaft von morgen.
Der Hof an der alten Villa im Stadtteil Wulsdorf quillt an diesem Morgen über vor Leben. Es laufen nicht nur 25 Grundschüler geschäftig und ein bisschen aufgeregt hin und her. Auch das Element Wasser sucht sich seinen plätschernden Weg aus gefüllten Eimern, Hand-Wasserpumpen, aufgedrehten Hähnen und über Transportrinnen. Der Wassererlebnisplatz steht stellvertretend für die Gesamtidee hinter ¾ plus und wird intensiv genutzt. Die ehemalige Unternehmervilla ist ein Familien- und Seminarzentrum des Arbeitsförderungszentrums afz im Land Bremen.
„Wir haben heute die Klasse 3a der Fichteschule hier. Die Kinder lernen den verantwortungsvollen Umgang mit der Ressource Wasser, woher Wasser überhaupt kommt und was es für die Menschen, Tiere und Pflanzen bedeutet“, erklärt Michael Schubert. Der Physik- und Mathematiklehrer ist Teil des dreiköpfigen ¾ plus-Teams. Die Lehrer und auch die Schule engagieren sich für das Thema Nachhaltigkeit. Vier Stunden pro Woche sind die Lehrer dafür freigestellt. Angesichts der Vielfalt und Größe des Themas eher ein Tropfen auf den heißen Stein – aber auch jeder Wassertropfen bewirkt schließlich etwas, wenn man ihn richtig nutzt und einsetzt.
„Ich putze mir viel bewusster die Zähne, seit ich zum ersten Mal hier war“, erzählt der neunjährige Sebastian Kahle*, während er mit Schwung einen Eimer Wasser in den Auffangbehälter entleert. „Ich drehe den Wasserhahn nur kurz auf, wenn ich Wasser zum nachspülen brauche. Wasser ist für jedes Lebewesen auf der Welt ganz, ganz wichtig.“ Die Kinder pumpen zuerst per Hand das Wasser in die Eimer, klettern dann ein paar Stufen hoch und kippen das Wasser in den großen, blauen Bottich. „1000 Liter“ steht in großen schwarzen Buchstaben und Handschrift auf der Außenhülle. Über die Anstrengung, den direkten Kontakt und die sichtbare Menge lernen die Schüler, wie wertvoll Wasser ist und haben einen direkten Vergleich zur Menge des täglich verbrauchten Wassers in Haushalten und der Industrie.
„Das ist das Ziel und Prinzip von ¾ plus“ betont Michael Schubert. „Die Schüler bekommen abhängig von den Altersstufen ein Gefühl dafür, welche Bedeutung die verschiedenen Ressourcen für uns und die Zukunft des Planeten haben.“ Dazu gehören Stromsparprojekte in den Schulen oder das Reduzieren von Heizkosten ebenso wie eigene Projekte zum Thema nachhaltige Energien. „Die Grundschulen beschäftigen sich mit der Basis und greifbaren Dingen, während die Klassen fünf bis zehn eher praktisch arbeiten – wie aktuell beim Bau von eigenen Modellbooten mit Solarantrieb“, erzählt Schubert. Im Rahmen der jährlichen Solarboot-Rallye im langgestreckten Werftbrunnen in der Bremerhavener Fußgängerzone werden dann die Gewinner ermittelt. Inzwischen nehmen auch Schulen aus Bremen daran teil.
Einen Gewinn machen alle an ¾ plus beteiligten Schulen – emotional, intellektuell und finanziell. Unterstützt wird das Projekt von der städtischen Gesellschaft Seestadt Immobilien, die abhängig von den eingesparten Ressourcen jedes Jahr entsprechende Prämien ausschüttet. Das Geld wird dann verwendet, um die nächsten Einspar-Projekte umzusetzen. „Da ist natürlich nach 25 Jahren irgendwann das Ende der physischen Fahnenstange erreicht“, sagt Michael Schubert. „Neue Thermostate, Bewegungsmelder, LED-Lampen, alternative Energiequellen, grüner Strom – alles das wird ja ständig im Rahmen von ¾ plus überprüft und auf den neuesten Stand gebracht.“ Stattdessen geht es zukünftig mehr darum, die Schülerinnen und Schüler mit Aktionen fit für die nachhaltige Zukunft zu machen.
„Die Oberstufe zum Beispiel simuliert die Weltklimakonferenz. Die Schülerinnen und Schüler bilden Teams, bekommen Länder zugeordnet, analysieren den realen Ist-Stand und bringen sich mit ihren Wünschen und Forderungen im Sinne des Weltklimas in die lebensechte Konferenz ein. Dieses Rollenspiel bringt unheimlich was für die Teilnehmer – auch für ihre berufliche Zukunft und den Einsatz für Ressourcen“, betont Schubert.
Die neunjährige Tina Brock* setzt ihre Erfahrungen auf dem Wasserlehrpfad bereits jetzt schon in die Praxis um. Während sie noch an der Wasserrinne steht und kritisch die Temperatur des Wassers aus dem Hahn mit der Hand fühlt, zählt sie die positiven Veränderungen in ihrem Alltag auf. „Ich lasse zum Beispiel das Wasser im Bad nicht mehr laufen, sondern stelle es ab, wenn ich mir die Haare wasche“, erzählt sie. „Und die Waschmaschine wird erst angestellt, wenn sie wirklich mit Wäsche voll ist.“ Beeindruckend, wie konsequent die Grundschülerin das Erlernte anwendet. Ob sie damit auch Einfluss auf ihre Eltern nimmt und sie auf Ressourcen-Verschwendung hinweist? „Aber hallo“, nickt Tina entschlossen und ist mit ihrem Einsatz für die Umwelt vor allem eines: sichtbar stolz.
Hintergrund
1994 wurde das Projekt vom Senator für Bildung, Wissenschaft, Kunst und Sport für Bremer Schulen initiiert. Heute kooperieren hier die Senatorin für Kinder und Bildung, die Senatorin für Umwelt, Klima und Wissenschaft, Immobilien Bremen und energiekonsens. 1998 folgten die Schulen in Bremerhaven. Hier fördern der Magistrat, der Wirtschaftsbetrieb Seestadt Immobilien und energiekonsens das Projekt. Die Zahl der an ¾plus teilnehmenden Schulen erhöhte sich im Laufe der Jahre kontinuierlich. Mittlerweile beteiligen sich alle 190 öffentlichen Schulen im Land Bremen an ¾plus.
* Namen von der Redaktion geändert