Nachhaltig wirtschaften, zukunftsfähig wachsen
Festmachen in Bremerhaven
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Best Practices aus der Wirtschaft, GREEN CITY, Ressourceneffizienz

Saisonal, regional, nachhaltig und sozial

Die Elbe-Weser Welten gGmbH (EWW) verwerten „ausrangierte“ regionale Obst-und Gemüseprodukte für hochwertige Fruchtaufstriche, Chutneys  und Würzmittel.

Hätten Sie Lust auf milden Senf mit einer leichten Kaffeenote, auf Pina Colada-oder Apfelmarmelade ohne Alkohol bzw. mit einem Hauch Vanille oder auf ein Chutney aus Paprika. Kein Problem, denn bei den gemeinnützigen Elbe-Weser Welten mit Stammsitz in Bremerhaven-Leherheide sind getreu des eigenen Slogans „Viel drin“ in der Tat eine Menge guter (leckerer) Inhalte drin – die Genusswelten gehören zu den vielen Gewerken im Hause im Rahmen der Angebote zur Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung. Thomas Stechel, ausgebildeter Koch und Küchenmeister mit zusätzlicher Qualifikation zur Arbeits- und Berufsförderung, ist quasi Anleiter und Kontrolleur und betreut mit seiner „Küstenschlemmerei“ ein Team aus neun Mitarbeiter*innen.

Fast unscheinbar gelegen in der Heinrich-Brauns-Straße, dort wo die Textilwelten und das Bekleidungslager des Alfred-Wegener-Institutes AWI in den EWW-Räumen beheimatet sind, ist auch das Mekka von Thomas Stechel (55) und seinen Mitarbeiter*innen. Stechel liefert in der Küche als Chef der Hauskantine für das „Werk IV/V“ nicht nur täglich zwischen 50-80 Mittagsportionen an die Frau oder den Mann. Die EWW sind ein hochspezialisiertes, soziales Dienstleistungsunternehmen mit inzwischen 24 verschiedenen Gewerken im Rahmen des Fachbereichs Arbeit & Bildung, von der Großwäscherei, über die Schneider- und Nähwerkstatt für bundesweite Kunden, den Medienwelten mit Druckerei und der Kerzenwerkstatt, hin zu den EWW-Genusswelten.

Dort ist Thomas Stechel mit viel Engagement, Empathie und Fachkompetenz im Sinne des sozialen Auftrags Dreh- und Angelpunkt für „seine Leute“, die unter Anleitung tolle Produkte zum Schlemmen kreieren. Seit einigen Jahren hat Stechel unter dem Logo „Küstenschlemmerei“ seine Mannschaft geformt, ob ehemaliger Bäckergehilfe oder angelernte Küchenkraft. Alle zusammen haben Lust auf neue Genüsse und die Zusammenarbeit in der Produktion leckerer, süßer Brotaufstriche und herzhafter Chutneys.

Überreife Früchte werden in der „Küstenschlemmerei“ weiterverarbeitet

„Immer, wenn neben der Tätigkeit in der EWW-Küche Zeit bleibt, wird Obst und Gemüse seiner neuen Bestimmung zugeführt, und zugleich Inklusion im besten Sinne des Wortes umgesetzt“, so Stechel. Und: „Wir arbeiten nach dem Prinzip „alles selbst“, zum Beispiel von der Ernte der Äpfel, die zum Teil auch aus eigenem Anbau kommen, über die Verarbeitung und Erstellung der Rezepturen bis hin zur Abfüllung, Etikettierung und Logistik.“

Das Besondere am Prinzip „Küstenschlemmerei“ ist, dass ausschließlich „B-Ware“ verarbeitet wird, also Obst und Gemüse, das überreif, mit kleinen Dellen oder Macken versehen ist, aber sonst noch topfrisch, somit aber nicht mehr für den Verkauf im Einzelhandel geeignet ist. „Wir hauchen der Ware quasi ein zweites Leben ein“, schmunzelt Stechel, „alles kann ohne Bedenken verarbeitet werden.“

Topprodukte „made by EWW“ als Liebe²-Marke bei Edeka

Ein Konzept, mit dem Stechel bei den genossenschaftlich organisierten Edeka-Supermärkten in der Region „offene Türen“ eingerannt hat. Die Elbe-Weser Welten haben u.a. mit den Edeka-Centern Bremerhaven-Wulsdorf und Roter Sand eine Vereinbarung, wonach regelmäßig Aufstriche und herzhafte Chutneys, Saucen und Dips geliefert werden. Beim Einzelhändler werden die Lebensmittel dann unter deren Eigenmarke „Liebe²“– Rettet reife Früchtchen“ vertrieben. Mittlerweile zählen zu den Verkaufsmärkten etlicher Sorten, „made by EWW“, auch Edeka am Schiffdorfer Damm, Edeka Schomacker in Loxstedt und Hagen sowie der Cap-Markt in Wremen.

Die Bilanz kann sich sehen lassen; in drei Jahren wurden knapp 3.500 Gläser Liebe² aus mehr als 1.500 Kilogramm Obst und Gemüse hergestellt, aktuell seien es bereits 4.000 Gläser, sagt Stechel, Fachkraft für Arbeits- und Berufsförderung, wie sein offizieller Berufstitel lautet. Alle die mitmachen seien stolz darauf, ein hochwertiges Produkt herstellen zu können, das ankomme.

Thomas Stechel: Je nach saisonaler Verfügbarkeit unserer Zutaten produzieren wir ständig neue Fruchtaufstriche mit wenig Zucker, sowie herzhafte Aufstriche und Chutneys, Senfvarianten oder eingelegtes Gemüse, alles unter sozialen Bedingungen. Wo gibt es das sonst?“

Zugleich werde das Thema Inklusion täglich gelebt, also Strukturen so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderung eine aktive Teilhabe am Arbeitsleben erfahren. Das langfristige Ziel sei, die EWW-Mitarbeiter*innen in den sogenannten ersten Arbeitsmarkt integrieren zu können, ergänzt Stechel.

Stetig neue Aufstrich-Varianten – von süss bis herzhaft

Auf die jüngste Rezeptentwicklung unter Stechels Anleitung kam der Kollege Schmidt, der sich jetzt über den süßen Senf mit leichter Kaffeegeschmacksnote freut. Sein Chef begeistert sich immer wieder über jede Initiative hin zu neuen Aufstrich- und Gewürzvarianten. „Alles selbst“ meint laut Stechel zudem auch die Verpackung inklusive Etiketten für die abzufüllenden Gläser. Der Werbe-Aufdruck sei in den EWW-Medienwelten entwickelt worden, der Mechanismus zur Beklebung von einer früheren Praktikantin. „Die hat für die Etikettierung der Gläser seinerzeit eine spezielle Vorrichtung aus Holz gebaut. Damit können Menschen mit unterschiedlich ausgeprägter Feinmotorik die Aufkleber schnell, praktisch und präzise auf den Gläsern platzieren“, erzählt Stechel.

Nächste Station „EWW-Weihnachtsmarkt“ in Leherheide

Soweit es die Zeit zulässt, wird in der „Kantine Werk IV/V“ mit neuen Zutaten probiert, nachgedacht, geschält, geschnitten, gewaschen, und schließlich werden alle Zutaten genauestens aufs Gramm abgewogen, bis dann ein fertiges Produkt die Marktreife für die „Küstenschlemmerei“ und deren Kunden hat.

„Die Nachfrage steigt stetig, das Bewusstsein für nachhaltige, regionale sowie saisonale Erzeugnisse aus sozialer Produktion wächst zum Glück immer weiter“, so Stechel. Regelmäßige Spenden und Zulieferungen aus „grünen“ Obst- und Biokisten bereichern seine Manufaktur. Stechel flechtet indes weiter an seinen Genusswelten-Netzwerken, um die EWW-Produkte zu pushen. Eine der neuesten Kooperationen sei „Tante Enso“, ein Off- und Online-Supermarkt, der mit 24-Stunden-Filialen unter myenso.de die Waren auch im Internet verkaufe. Auch beim Verkaufsportal easy sind die EWW-Produkte gelistet.

Expansion mit regionalem Fokus

Stechel und sein Team möchten weiter im nahen Umkreis expandieren, das heißt bspw. im Landkreis Cuxhaven. Und auch neue Bremerhavener Kooperationen wie im Bereich der Molekularküche seien angedacht. Dabei gehe es jetzt und in Zukunft darum, in den Genusswelten der EWW Ressourcen schonend, mit viel Kreativität und hohem Qualitätsanspruch neue Produkte herzustellen.

Apropos: Bremerhavener*innen und Gäste haben schon am 25. November Gelegenheit, auf dem jährlich organisierten Weihnachtsmarkt der Elbe-Weser Welten auf dem Gelände in Leherheide die Fruchtaufstriche und Chutneys zu probieren – und schon das eine oder andere Geschenk für die Feiertage zu kaufen. Wer dort leer ausgeht, kann zumindest die Waren der Genusswelten im Werksverkauf in der Heinrich-Brauns-Straße 7 erwerben.

Für die langfristige Planung sollten sich alle Interessierten den September 2024 vormerken. An zwei Tagen an einem Wochenende im Fischbahnhof plant die BIS Bremerhaven ein Nachhaltigkeitsfestival, wo gezeigt werden soll, wie man ressourcenschonend, regenerierbar, l(i)ebenswert und kreativ agiert – lokale Akteure wie die EWW sind hier in vorderster Linie gefragt.

 


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