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Best Practices aus der Wirtschaft, Nachhaltiges Bauen

Hohe Ausbildungsbereitschaft im Handwerk

Dirk Ritschel, Obermeister der Innung Sanitär- und Heizungstechnik Bremerhaven-Wesermünde, wirbt für das Handwerk und zukunftssichere Jobs in der Gebäudetechnik.

Während die Zahl der bei der Kammer eingereichten Ausbildungsverträge Anfang August letzten Jahres im Vergleich zum Vorjahr um rund acht Prozent geringer ausfiel, hatte sich die Zahl der offenen Stellen im Bremerhavener Handwerk nahezu verdoppelt, von 160 im August 2021 auf rund 300 ein Jahr später. Für 2023 meldet das Handwerk einen leichten Aufwärtstrend, insbesondere in den Berufen, die für die Umsetzung des Klimaschutzes besonders relevant sind. Das reicht aber nicht, viele Betriebe suchen trotz mehr Nachfrage gleichzeitig noch händeringend nach geeigneten Auszubildenden, weiß auch Obermeister Dirk Ritschel vom Vorstand der Innung Sanitär- und Heizungstechnik Bremerhaven-Wesermünde ein Lied davon zu singen.

Dem Handwerk fehlt es an Nachwuchs. Das gilt bundesweit und auch im Norden der Republik – ob in Bremerhaven, Bremen oder Niedersachsen. Die Lage für die handwerklichen Ausbildungsbetriebe bleibt weiter misslich, auch wenn erste Anzeichen von leichter Entspannung der Nachfrage in Teilbereichen sichtbar werden. Vor allem in der Zeit der Corona-Krise mit vielen Ausfällen, weil etliche Azubis sprichwörtlich das Handtuch geschmissen haben, gehören auch zur Wirklichkeit (und wirken noch nach)“,  sagt Dirk Ritschel.

Großer Ausbildungsbedarf im Energiesektor

Meister Ritschel, Inhaber von Ritschel+Schick in der Wurster Straße, ist selbst im Bereich Gebäudetechnik, Heizung, Sanitär als Ausbilder tätig und beschäftigt momentan vier Auszubildende. Es dürften gerne ein paar mehr sein, so Ritschel lapidar. Denn vor allem Berufsfelder wie das des Anlagenmechanikers und generell Energie relevante Berufe rund ums Gebäude haben Hochkonjunktur. „Alle Bereiche, die für die Umsetzung des Klimaschutzes besonders relevant sind, brauchen jetzt und in Zukunft dringend Fachkräfte, um das Auftragsvolumen überhaupt stemmen zu können“, erklärt Ritschel.

Ritschel setzt viel auf persönliche Überzeugungsarbeit: „Wir bieten extrem abwechslungsreiche und zukunftssichere Berufe und kümmern uns um die jungen Erwachsenen nicht nur in beruflichen Dingen.“ „Wir machen was Sinn macht. Für uns. Für alle“, ist der Werbeslogan des bundesweiten Handwerks in 2023, der junge Menschen motivieren soll. Im Handwerk arbeiten derzeit immerhin mehr als 5,6 Mio. Unternehmer*-innen, Meister*-innen, Gesell*innen und Auszubildende. „Die Möglichkeiten jetzt und in naher Zukunft sind riesig“, so Ritschel.

Dreieinhalb Jahre braucht es bis zum Gesellenabschluss, die zukünftigen Anlagenmechaniker bspw. gehen zunächst mit einem Monteur auf die Baustelle, bevor sie laut Ritschel komplett eigenständig planen und ein Projekt alleine bewerkstelligen müssen. Bis dahin wechseln die Azubis von Baustelle zu Berufsschule, wo jede 2. Woche im Blockunterricht Theorie gebüffelt wird. Die Vergütung liegt für die Nachwuchskräfte, meist im Alter von 16 / 17 Jahren, gestaffelt zwischen ca. 800 bis knapp 1.000 Euro.

Planen, berechnen, Probleme lösen, im Handwerk ist ganz viel Köpfchen gefragt. „Verständnis für Mathe und vernünftige Deutschkenntnisse wären gut, wichtig aber insbesondere Sorgfalt im Umgang mit der Materie“, so Ritschel, „bei falsch installierter Technik könnte das ansonsten brandgefährlich werden“.

Als Anlagenmechaniker/-in für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik kann man sich je nach Neigung spezialisieren. Ritschel: „Zum Beispiel in der Betreuung von Privathaushalten und/oder Unternehmen. Hier können die angehenden Gesellen ihre ersten Sporen verdienen und Wasseranschlüsse, Heizungen und Sanitäranlagen installieren.

Neue Heiztechniken erfordern fachliche Beratung

Auch das Berufsfeld der Beratung rücke angesichts innovativer Technik mehr in den Vordergrund. Hochmoderne Systeme müssten stetig überprüft werden, wenn es um Umweltschutz und Energieeinsparung geht, erklärt Ritschel. Hier sei Fachwissen und Spezialwerkzeug gefragt, so der Obermeister, der auch im Prüfungsausschuss der Innung tätig ist.

Wer durchhalte, könne seinen Meister machen, Bauleiter werden und vieles mehr. Dank einiger Innovationen im Handwerk gerade im Gebäudeenergiesektor wird es nach den Erfahrungen Ritschels nie langweilig. Wärmepumpen lassen sich zum Beispiel per Laptop steuern und auf effiziente Nutzung programmieren, die Fachkraft kann bei Altgeräten u.a. Nutzen und Ertrag zunächst am PC per Ferndiagnose überprüfen, bevor ein Einsatz vor Ort nötig wird.

Zwei Mädchen sind bei Dirk Ritschel und dem Team aus gut 13 Facharbeitern seit rund drei Jahren in der Ausbildung. „Leider verlieren wir immer mal wieder Junggesellen an die Industrie, oder sie gehen in Jobs im Hafen“, so Ritschel.  Der Wettbewerb der Firmen um Azubis wird immer härter. Ohne Werbekampagnen geht es nicht, um die Vielfalt der Einsatzfelder aufzuzeigen. Soziale Medien wie TikTok oder Meta sind ohnehin übliche Kommunikationsplätze, um junge Menschen zu erreichen. Von der Montage in Privathäusern über den Werksschutz bis zum Einsatz in der Industrie ist in Ritschels Metier vieles denkbar – außerdem gibt es im Rahmen des dualen Studiums eine beliebte von mehreren  Möglichkeiten des beruflichen Aufstiegs.

Auch auf Kinoleinwänden in Bremerhaven oder auf Jobbörsen, während Schulpraktika und auf der Berufsinformationsmesse (BIM) in der Bremerhavener Stadthalle wird der Nachwuchs rekrutiert. Die Lust aufs Handwerk zu fördern bleibt aber laut Heizungsinnung Bremerhaven und ihrem Obermeister eine Herausforderung.

Bestandssanierung + Fernwärme

Ein großes Aufgabenfeld ist nach Aussage von Ritschel die Bestandssanierung und Wartung von Mehrfamilienhäusern wie z.B. die von Wohnungsgesellschaften in Bremerhaven. Beim Hochhaus „Elbestraße 114 und 116“ werde komplett von Gas auf Fernwärme umgerüstet. In diesem Falle ist der Energieversorger SWB AG über seine Tochtergesellschaft wesernetz für die Versorgungsnetze in der Seestadt zuständig.

Bisher sind in Bremerhaven rund 1.300 Hausanschlüsse für Fernwärme installiert, etwa jeder zehnte im Stadtgebiet werde nach Angaben des Energieversorgers mit Fernwärme beliefert. Die Leitungen dazu verlaufen meist unter öffentlichen Straßen und Wegen der Stadt.

Nach Meinung von Dirk Ritschel ist diese Form der Energiegewinnung wo die Verbrennungswärme des Müllheizkraftwerkes angezapft wird, eine sinnvolle Lösung. Auch so genannte Insellösungen mit Nahwärmekonzepten, wo zum Beispiel durch Blockheizkraftwerke die Grundversorgung sichergestellt ist, gebe es in kernsanierten Reihenhaussiedlungen wie bspw. im Stadtteil Grünhöfe.

„Das Fernwärme-Verfahren funktioniert nachhaltig und wirtschaftlich“, so Ritschel. „Das Heizwasser wird in den swb-Kraftwerken mittels Kraft-Wärme-Kopplung erwärmt oder dezentral in kleineren Heizwerken und von großen Pumpen in die Leitungen gebracht. Auf dem Weg zum Kunden beträgt die Temperatur des Wärmeträgers etwa 70 bis 130 Grad Celsius, je nach Witterung. Das heiße Wasser wird größtenteils in den Kundenanlagen zum Heizen genutzt. Für das Warmwasser wie zum Duschen wird dem heißen Wasser die Energie per Wärmeaustauscher entzogen und an das Warmwasser im Hauskreislauf übertragen. Das abgekühlte Wasser fließt schließlich aus der Kundenanlage mit maximal 50 Grad in die Wärmeleitungen zurück. Diese Rücklaufleitungen führen wieder zur Erzeugungsanlage, wo das Wasser wieder erhitzt werden kann und sich der Kreislauf schließt.“

Gestiegenes Interesse

Zum typischen Azubi-Start am 1. August jedes neuen Ausbildungsjahres verzeichnet die Handwerkskammer Bremen immerhin ein deutlich gestiegenes Interesse vor allem an der dualen Ausbildung im Handwerk. Zum Stichtag 31. Juli hat die Kammer 684 neue Ausbildungsverträge eingetragen, ein Plus von rund 15 Prozent (89 Verträge) gegenüber dem Vorjahresdatum. Während das Plus in der Stadt Bremen bei rund elf Prozent liegt, beträgt der Zuwachs in Bremerhaven sogar rund 30 Prozent. Verstärkten Zuspruch verzeichnet die Kammer insbesondere in den Ausbildungsberufen Tischler, Kfz-Mechatroniker und eben Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik. Für Dirk Ritschel ein Zeichen dafür, dass ein Umdenken stattfindet und das Handwerk wieder mehr Wertschätzung erhält.

Eine weitere Wahrheit hinter den Zahlenstatistiken ist auch, dass die offenen Ausbildungsstellen im Handwerk im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen sind. Während die Lehrstellenbörse der Kammern in Bremen und Bremerhaven Ende Juli 2022 rund 280 unbesetzte Ausbildungsplätze verzeichnete, sind es aktuell rund 160.

Am Ende wird es dann noch politisch, es geht um die viel diskutierte Ausbildungsplatzabgabe. Alle Betriebe im Land Bremen sollen künftig bis zu 0,3 Prozent ihrer jährlichen Bruttolohnsumme in einen Fonds an die Landeskasse einzahlen müssen. Aus diesem Fonds soll die betriebliche Ausbildung gefördert werden.

Bei diesen Planungen wird allerdings die Realität auf dem Ausbildungsmarkt mit seinem inzwischen gravierenden Mangel an jungen Bewerbern völlig außer Betracht gelassen, meint nicht nur Ritschel.

In der akuten Situation, wo das Handwerk unter fehlenden Azubi-Nachwuchs leidet, mit einer zusätzlichen Ausbildungsplatzabgabe die Kosten insbesondere auch für kleine und mittelständische Unternehmen zu erhöhen, gehe gar nicht, spricht Ritschel auch im Sinne der Kammer, die gemeinsam mit vielen anderen Verbänden aus dem Land Bremen dagegen angeht. Noch mehr Bürokratie ist nicht allein für Dirk Ritschel der falsche Schritt nach vorn.

EXTRA

Zukunftsbranche zur CO2-Reduzierung

Die Firma Ritschel+Schick Gebäudetechnik GmbH wurde im Dezember 2004 in Bremerhaven als Meisterbetrieb im Heizung- und Sanitärhandwerk mit Anbindung der Geschäftsbereiche Bauelemente und Sonnenschutztechnik gegründet. Der Betrieb hat 13 Mitarbeiter*innen und vier Auszubildende am Start. Für Inhaber Dirk Ritschel hat die Aussage „Handwerk hat goldenen Boden“ insofern weiter Bestand, wenn sich zukünftig genügend junge Menschen dazu entscheiden, eine praktische Lehre zu beginnen, gerne auch mit der Option der Weiterqualifizierung bis hin zum Studium. Die Herausforderungen des nachhaltigen und energiebewussten Umgangs mit den Ressourcen stehen erst am Anfang, der Gebäudesektor mit seinem enormen Potenzial zur CO2-Einsparung und auf Effizienz und regionale Besonderheiten getrimmte Wärmegewinnung könne hier eine wichtige Rolle spielen, so Ritschel.


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