„Schluss mit Tetris“ – Win-Win Situation für Studierende und Unternehmen
Eine Reise in die physikalischen Hintergründe von Stoß-, Luftfeuchtigkeits- und Temperaturbelastungen im Transportwesen schont die Umwelt.
Dr.-Ing. Dieter Heimann, Professor im Studiengang Transportwesen / Logistik an der Hochschule Bremerhaven im Bereich Management und Informationssysteme, forscht mit seinen Studenten*innen u.a. zum Thema Datenlogger. Die können z.B. Stoß-, Luftfeuchtigkeits- und Temperaturbelastungen der Waren auf Reisen messen und Belastungen aufzeichnen. Was heißt das in der Unternehmens-Praxis?
Von Haus aus ist Dieter Heimann eigentlich Maschinenbau-Ingenieur, sein beruflicher Weg führte ihn immer wieder von der Praxisseite der Unternehmen in die Forschung und zurück. Prokurist der Verpackungstechnisches Dienstleistungszentrum GmbH in Dortmund stand auf seiner Visitenkarte. Die Verpackungstechnik war sehr schnell sein Steckenpferd, auch mit Roboter-Unterstützung. Wie es auf der Herstellerseite funktioniert, konnte Heimann beim Großkonzern Bayer an unterschiedlichen Standorten hautnah erleben. Im Jahr 2003 wechselte er vom Rheinland an die Weser nach Bremerhaven und kümmert sich dort gemeinsam mit seinen Studierenden um Fragen des Verpackungseinsatzes. Eine seiner Zielstellungen hierbei ist es, Verpackungen auf das zur Funktionserfüllung notwendige Maß zu begrenzen, Verpackungsabläufe zu optimieren und Transportschäden zu vermeiden.
„Sie glauben gar nicht, was man mit Industrieverpackungen und deren Optimierung in Größe und Beschaffenheit in täglichen Arbeitsprozessen erreichen und damit letztlich die logistischen Abläufe verschlanken kann“, so Heimann. Am Ende entstehen damit deutliche CO2-Einsparungen auch aufgrund der Reduzierung von Verpackungsmaterial, das sonst aufwendig produziert werden müsste. Nicht zuletzt geht es zudem laut Heimann um Schadensverhütung und die Auswahl der bestmöglichen Verpackung (Material, Abmessungen, Packstoffbedarf), angepasst an das zu versendende Produkt.
Annähernd 3.000 Studierende sind aktuell an der Hochschule Bremerhaven eingeschrieben, vier von den jungen Nachwuchslogistikern haben im Rahmen ihres Studiums u.a. mit Hilfe von Datenloggern Transportbelastungen analysiert und beim Einsatz von Verpackungslösungen passgenaue und anwendungsorientierte Ideen entwickelt, von denen Unternehmen und Umwelt ganz konkret profitieren. Ihr begleitender Professor Dieter Heimann ist immer aufs Neue begeistert von der Reise seiner Studenten*innen in die physikalischen Hintergründe von Stoß-, Luftfeuchtigkeits- und Temperaturbelastungen im Transportwesen, wie er sagt.
Sogenannte Datenlogger, oder auch Messgeräte, können nach den Worten Heimanns die individuellen Belastungen verpackter Waren jeglicher Art nicht nur aufzeichnen, sondern auch mit einem Zeitstempel und GPS-Tracking versehen. Heimann: „Die Messinstrumente sind kleine Boxen, verfügen über ein körpereigenes Koordinatensystem und sind am Transportgut oder dem Container angebracht. An den aufgezeichneten Daten lässt sich ablesen, welche Transportbelastungen wann und wo innerhalb einer Transportkette aufgetreten sind und möglicherweise zu einem Transportschaden geführt haben.“ Man könne laut Heimann durch Datenlogger im Inneren die bedarfsgerechten Anforderungen an die jeweilige Verpackung ziemlich genau ermitteln – und damit Schaden frühzeitig abwenden.
Weniger CO2 dank Forschung im Verpackungslabor
Dank intensiver Forschung und zahlreicher Tests im Bremerhavener Verpackungslabor konnten Heimanns Studenten verschiedene Einflüsse testen, die zu Ende gedacht nicht unerheblich zur Minimierung des Ausstoßes an Kohlendioxid führen:
- Bunte Blöcke unterschiedlicher Größen passgenau aufeinander stapeln, so ähnlich geht das Online-Spiel Tetris. Damit wollte Logistikstudent Tim Stadtlander sprichwörtlich aufräumen – und hat als einer der Absolventen des Studiengangs für Transportwesen und Logistik im Labor der Hochschule in unterschiedlichen Versuchen herausgefunden, dass er durch eine Anpassung der Kartonstärke und durch eine spezielle Stanzung des Verpackungsinneren die Qualität der Verpackung verbessern und die unnötige Vielfalt der Verpackungsgrößen innerhalb des Unternehmens Siko GmbH, für das er heute arbeitet, reduzieren konnte. Die Firma bietet zirka 300 verschiedene Produktgruppen an, darunter viele im Bereich der Medizintechnik. Allein über 40 unterschiedliche Fächervarianten, mit denen die Produkte im Karton gestützt werden, setzte Siko vor Stadtlanders Versuch ein. Der Bachelor of Engineering teilte alle Produktgruppen nach ihrer Form – rund, eckig, quadratisch – ein und reduzierte so die Kartongrößen auf wenige Modelle, die jetzt auf EU-Paletten passen.
Dadurch und mithilfe spezieller Stanzungen konnte er nach eigenen Angaben die Vielfalt an Innenverpackungen um ca. 62 Prozent verringern. Stadtlanders Verpackungen sind zudem wiederverwendbar und leichter. Die Firma Siko spare so etwa 2.900 Kilogramm Verpackungsmüll und 2.200 Kilogramm Kohlendioxid pro Jahr ein.
Als besonders wertvoll bezeichnet Heimann die Zusammenarbeit und den Praxisaustausch mit Logistikunternehmen und hier insbesondere mit dem heimischen Bremerhavener Logistikdienstleister, der Gruppe Friedrich Tiemann: „Wenn wir Logistiker der HS Bremerhaven in der Berufspraxis etwas testen wollen, unterstützen uns Senior-Geschäftsführer Dieter Kanning und seine Kolleg*innen immer sehr altruistisch. Das ist etwas Besonderes, was man nicht an jedem Hochschulstandort vorfindet.“
Win-Win-Situation für Hochschule und regionaler Wirtschaft
Ebenso von Vorteil sei, so Heimann, die seit über 15 Jahren bestehende Zusammenarbeit mit dem GDV, Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft, und deren zuständigen Mitarbeiter*innen. Im Rahmen zahlreicher Tagungen konnten Studierende ihre u.a. im Verpackungslabor bearbeiteten Forschungsprojekte vorstellen und dabei wertvolle Praxiserfahrung sammeln. Die Zusammenarbeit mit dem GDV ist laut Heimann extrem wertvoll für die Ausbildung der Studierenden. Dieses schließt neben der fachlichen Weiterbildung ebenso den Erwerb sogenannter Softskills ein. Erstmalig vor einem Fachpublikum in Hotelatmosphäre eigene Forschungsarbeiten präsentieren zu können, ist für Studierende laut Heimann eine einmalige Chance und auch große Herausforderung.
Während einer Schiffsreise im Container gibt es zahlreiche mögliche Szenarien, die mit einer genauen Datenanalyse inklusive Tag- und Nachtschwankungen ausgewertet und beurteilt werden können: „Wie schaut es bspw. mit der Luftfeuchtigkeit im Container aus?“ „Ist sie zu hoch, kann dies zu Korrosion zu Schimmelbildung führen, oder die Kartonage weicht auf und die Produkte sind nicht mehr sicher verstaut oder sogar so stark beschädigt, dass ein neuer Transport nötig ist“, erzählt Heimann. Der richtige Einsatz von Datenloggern könne Zeit und damit Kosten einsparen.
Praktische Anwendungen sparen Zeit und Kosten
Welchen Schutz vor Feuchtigkeitsschäden eine Klimaschutzverpackung – bestehend aus einer Schwergutkiste sowie einer Sperrschichtfolie und Trockenmitteln – dem Transportgut bietet, zeigt Logistikstudent Nelio Rauen. Er hat sich mit den Schwächen der Trockenmittelmethode beschäftigt. Trockenmittel, die man beispielsweise als Granulatpäckchen kennt, werden im Transportwesen eingesetzt, um Schimmelbildung zu vermeiden. Um Vor- und Nachteile der Trockenmittelmethode aufzuzeigen, hat Rauen zwei Versuche durchgeführt: Einen in einem echten Container, der von der Firma Hapag Lloyd zur Verfügung gestellt wurde und den er bei der Bremerhavener Firma Tiemann bestücken durfte, und einen im hochschuleigenen Verpackungslabor, unterstützt vom technischen Angestellten des Verpackungslabors Frank Strasdeit. Schließlich zeigte sich, „dass eine zusätzliche schützende Kiste aus Holz dafür sorgt, dass das Trockenmittel mehr Zeit hat, um zu arbeiten – selbst wenn die Schutzschicht ein Leck hat.“
„Wir brauchen alle Nachwuchs. Wenn wir den Nachwuchs nicht fördern, haben wir keinen“, so Tiemann-Vorstandsmitglied Dieter Kanning zur „Win-Win-Situation für Hochschule und regionaler Wirtschaft“. In der Tat arbeiten im Team des hafennahen Logistikdienstleisters im Stadtteil Speckenbüttel bereits mehrere Absolvent*innen der Hochschule Bremerhaven. Logistikaffine Unternehmen in der Seestadt wie NTB, Eurogate oder BLG sind ebenso dankbare Abnehmer von Absolventen*innen der HS Bremerhaven.
Luftfeuchte im Container letztendlich immer ein Umweltfaktor
- Jamo Randhahn beleuchtete das Innenraumklima bei der Freiluftlagerung eines smarten ISO-Containers. Die wechselseitige Beziehung zwischen Temperatur und Feuchtigkeit innerhalb des Containers und damit die Kenntnis über das Innenraumklima sei, so Randhahn, nicht zu unterschätzen. Bei seinem Praxisversuch wurden 30 Holzbalken, die vor dem Verladen im Freien gelagert waren, mit Datenloggern und Trockenmittel versehen. Für den Versuch wurde außerdem ein Loch um die um das Holz versehene Schutzschicht als bewusste Leckage geschnitten. Durch die Außenlagerung hatte das Holz laut Randhahn zuvor bereits viereinhalb Kilo Wasser pro Balken aufgesaugt.
- Mit Hilfe der Datenlogger zwischen beziehungsweise oben auf den Balken platziert konnte Randhahn messen, dass das oben angebrachte Messgerät höhere Temperaturschwankungen aufzeichnete, als das zwischen den Balken platzierte. „Daran sieht man, dass Holz ein guter Wärmespeicher ist“, so Randhahn. „Über den Wassergehalt der Ladung muss man sich bewusst sein.“
In parallelen Tests im Container und im Labor mit Belastungsstarts und Klimaprüfstand zeigte sich, dass das Trockenmittel zum einen nur eine bestimmte Menge Wasser aufnehmen kann und dass beispielsweise bei Zollkontrollen, bei denen die vor Wasserdampfeintritt von außen in die Sperrschichthülle schützende Sperrschichtfolie zur Sichtkontrolle geöffnet werden muss, feuchtigkeitsbedingte Schäden am Transportgut verursacht werden können.
Randhahns Lösung: „Es zeigt sich, dass eine weitere schützende Kiste aus Holz zur Absicherung dafür sorgt, dass das Trockenmittel mehr Zeit hat, um zu arbeiten – selbst wenn die Schutzschicht ein Leck hat.“
Datenlogger ermittelt Stoßbelastung
Bennet Krause nutzte den Datenlogger, um die Stoßbelastung beim Containerumschlag zu ermitteln. Mittels eines Reachstackers, ein mobiles Umschlaggerät, mit dem Container transportiert und gestapelt werden können, treten beim Auf- und Abladen immer wieder Erschütterungen auf. Krause konnte anhand einer entsprechend technisch überwachten Reise eines Containers von Bremerhaven nach Busan in Südkorea aufzeigen, dass die in bestehenden Packrichtlinien zum Stauen von Containern angegebenen Beschleunigungen für die Ladungssicherung teils deutlich überschritten wurden.
Heimanns vorläufiges Fazit: Verluste minimieren, Stauraum optimieren – das Zusammenspiel äußerer Faktoren wie z.B. durch Temperaturschwankungen ist komplex. Die bessere Kenntnis über die gesamte Reise dieser Container und ihrer Wareninhalte trägt letztlich zu mehr Effizienz im Umgang mit Material und Umwelt bei. Alles zusammen spart Transportwege und damit CO2, die Ware kommt optimal verpackt ohne Beschädigungen von A nach B.
Um den Verpackungsmüll weiter deutlich zu reduzieren heiße es auch – ganz wichtig – sortenrein zu sortieren, erklärt Heimann. Außerdem werde an neuen Materialien geforscht wie bspw. Bio-Verpackungen aus nativer Stärke. Es gilt so anforderungsgerecht wie möglich zu verpacken, die Verbraucher in ihrer Gesamtheit hätten am Ende die Macht, dass das auch mehr umgesetzt wird, so Heimann.
Immerhin – das von der EU formulierte Ziel (EUVerpack V) gibt verpflichtend? vor, dass bis 2025 25 Prozent und bis 2030 30 Prozent der Plastikflaschen aus recyceltem Material bestehen sollen.