Mikroalgen mit großer Umweltwirkung
Der Mensch braucht Sauerstoff, um zu leben. Bei Mikroalgen ist das anders herum. Sie nutzen Kohlendioxid, um zu wachsen.
Was in der normalen Luft nur in geringen Mengen vorkommt, findet sich allerdings im Abgas der Industrie massenweise – und trägt zur Klimaerwärmung bei. Die Hochschule Bremerhaven will mit Hilfe von Mikroalgen die Rauchfahnen aus Schornsteinen vom Kohlendioxid befreien.
Auf der Suche nach dem perfekten Kandidaten
Was sich anhört wie ein Zaubertrick, besteht in der Realität aus jeder Menge Schläuchen, Kolben, Messgeräten – und natürlich Gasflaschen. „Wir begasen die Mikroalgen mit verschiedenen Mengen von Kohlendioxid, um zu sehen, wie sie darauf reagieren“, erklärt Professor Imke Lang, Professorin für Marine Biotechnologie. Im Labor im Gebäude Z werden die Algenstämme zuerst in kleinem Maßstab gezüchtet, dann in Nährlösungen zum Wachsen gebracht und schließlich im großen Versuchsaufbau in flüssigkeitsgefüllten Reagenzgläsern mit Kohlendioxid angereichert.
„Die Rotalge ist besonders gut im Rennen“, sagt Sylvia Fasse, wissenschaftliche Mitarbeiterin in dem Projekt. Seit Sommer vergangenen Jahres arbeitet das Team daran, den perfekten Kandidaten für die zukünftige Entschärfung von Industrie-Abgasen zu finden. Auch Grünalgen und Cyano-Bakterien sind bei den Versuchen dabei. „Aktuell zeigt sich, dass sich die Rotalge bei einem Kohlendioxid-Gehalt von zehn Prozent richtig wohl fühlt und ordentlich wächst“, erzählt die Forscherin und zieht eines der großen Reagenzgläser aus der Halterung. Der Inhalt ist im Vergleich zu den anderen Gläsern in der Reihe dunkelgrün. Ein Indiz für die Menge der gelösten Algen in der Flüssigkeit.
Wichtig bei der Suche nach den passenden Bedingungen für das Algenwachstum ist aber auch die Zusammensetzung der Abgase. Neben Kohlendioxid sind dort auch Stickoxide und Schwefeloxide enthalten. „Nicht jede Alge wächst in jedem Milieu gleich gut. Deshalb testen wir ja verschiedene Algenarten. Manche davon wachsen in der Natur auf Baumrinden, andere kommen aus vulkanischem Umfeld und sind neben den höheren Temperaturen ganz andere Umwelt-Bedingungen gewohnt“, erklärt Imke Lang.
Den gesamten Kreislauf im Blick
Bei ihren Forschungen geht es den Wissenschaftlern an der Hochschule Bremerhaven aber nicht nur um die Reduktion von Kohlendioxid im Abgas von Industrieunternehmen. Sie haben den gesamten Kreislauf im Blick. „Die Algen können natürlich genutzt werden – müssen dafür aber getrocknet werden. Im Normalfall wird dafür wieder Energie aufgewendet. Wir wollen dafür die Abwärme aus dem Abgas nutzen, um gleichzeitig Energie zu sparen“, erklärt Imke Lang.
Abhängig von den Prozessen und der Temperatur könnten dann die wertvollen Inhaltstoffe der Algen schonend erhalten und genutzt werden – zum Beispiel für die Pharmaindustrie, Kosmetik oder in der Nahrungsmittel-Industrie. Für die Herstellung von Substanzen bei Beschichtungen, als Geliermittel, Farbstoffe oder Antioxidantien in Lebensmitteln seien die Algen optimal. „Und Bremerhaven ist einer der größten Lebensmittelstandorte in Deutschland.“
Projekt Algrow
Als möglichen Projekt-Partner bei der algenbasierten Abgas-Reinigung sieht Imke Lang die Nordceram-Fliesenfabrik in Bremerhaven. Das Unternehmen erzeugt neben den Abgasen der Produktion auch jede Menge Abwärme. Die Öfen laufen mit 1200 Grad Celsius. „Damit haben wir alles hier vor Ort, um die Mikroalgen-Forschung voranzubringen. Optimal wäre, direkt an der Fabrik eine Versuchsanlage dafür zu installieren.“
Angelegt ist das Forschungsprojekt „Algrow“ zunächst auf zwei Jahre und wird von der BIS Wirtschaftsförderung unterstützt. Ziel ist auch eine Empfehlung, um eine kommerzielle Mikroalgenproduktion in Bremerhaven aufzubauen. Imke Lang: „Weniger Abgase, kostengünstige Algenproduktion und wertvolle Inhaltstoffe – das ist die perfekte Mischung zum Schutz von Ressourcen und Umwelt.“