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Polarstern II setzt nachhaltige Maßstäbe

Seite Mitte 2022 läuft das mehrstufige Vergabeverfahren. Inbetriebnahme nicht vor 2027

Klimawandel und Polargebiete sind eng miteinander verknüpft. Um die Wechselwirkungen dort zu verstehen, setzt das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) seit mehr als 40 Jahren den Forschungseisbrecher „Polarstern“ ein. Mit der Nachfolgerin „Polarstern II“ hat sich das AWI zum Ziel gesetzt, neueste Technologien, moderne Forschung und umweltbewussten Schiffbau zum Wohl von Antarktis, Arktis und des Planeten zu vereinen.

„Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine große Aufgabe“, sagt Projektleiter Detlef Wilde. Der Luft- und Raumfahrtingenieur steht im Planungsbüro am Neuen Hafen in Bremerhaven und blickt auf eine Risszeichnung der alten „Polarstern“ auf dem Tisch. Ohnehin: Allein schon das Wort „Büro“ wird dem Ganzen nicht gerecht. Tatsächlich nutzt das Team eine gesamte Etage in dem Gebäude. Etwa 20 Leute arbeiten aktuell am Projekt „Polarstern II“. Seite Mitte 2022 läuft das mehrstufige Vergabeverfahren. Nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs im Juli läuft nun die Angebotsphase.

„Dabei zählen vor allem auch innovative Konzepte der Unternehmen für den Bau der Polarstern 2. Wir legen ja nicht einfach einen Plan vor und sagen: So, jetzt bau das mal nach, sondern die Werften sollen ihre Kompetenz und ihre Kreativität u.a. Sachen Nachhaltigkeit in das Projekt einbringen“, erklärt Detlef Wilde. Dazu gehören neben dem reinen Bau vor allem auch Konzepte für den Antrieb. Immerhin ist die Polarstern II in den Polargebieten unterwegs und damit in geschützten und sehr sensiblen Regionen.

„Wir wollen so wenige Treibhausgas- und Luftschadstoffemissionen verursachen, wie möglich“, sagt Detlef Wilde. „Dazu setzen wir auf einen emissionsarmen Dual Fuel-Antrieb und den Einsatz alternativer Kraftstoffe.“ Allein schon wegen der notwendigen Reichweite des Schiffes und der Verlässlichkeit werde man um einen Dieselantrieb zumindest anteilig wahrscheinlich nicht herumkommen. „Der Forschungseisbrecher ist Wochen und Monate in den abgelegensten Regionen der Erde unterwegs. Allein auf Techniken wie Brennstoffzellen, Flüssiggas oder Methanolantriebe zu setzen, ist jetzt noch zu früh – abgesehen davon, dass Sie in der Antarktis lange nach einer Methanol-Tankstelle suchen können.“

Vor dem Hintergrund sieht der Ingenieur eine ausgewogene Mischung der Antriebe als sinnvoll an – allein schon wegen der notwendigen Tankkapazität für alternative Treibstoffe an Bord. „Die Abmessungen des Schiffes spielen natürlich eine Rolle. Wir bauen einen Forschungseisbrecher und keinen Tanker. Je mehr Treibstoff mitgenommen werden muss, desto größer wird das Schiff – und dem sind vom Einsatz her Grenzen gesetzt

Stark reduzierte Emissionen durch Abgasnachbehandlung und Hochleistungs-Partikelfilter sind hier Lösungen. Aber abgesehen vom Antrieb spielen beim Bau der Polarstern II auch viele andere Komponenten eine wichtige Rolle für die Nachhaltigkeit. „Die Rumpfform zum Beispiel“, erklärt Wilde. „Als Eisbrecher ist dem Rumpf natürlich ein gewisser Schnitt vorgegeben, um effektiv Eis brechen zu können. Aber mit modernen Mitteln, Computern, Strömungsberechnungen und Modelltests lässt sich da sicher viel optimieren.“

Auch die Frage des Rumpfanstriches fließt in die Nachhaltigkeit mit ein. Nicht für die Strömungsfähigkeit, aber für die Umwelt. „Die Polargebiete haben ein empfindliches natürliches Gleichgewicht. Entsprechend umweltverträglich muss der Anstrich des Schiffes sein“, betont Detlef Wilde. Darüber hinaus verfolge man neben anspruchsvollen Energie- und Umweltstandards – etwa dem Blauen Engel –auch das Ziel, ein insgesamt leises Schiff zu bauen.

Gleichzeitig ist die Frage der Nachhaltigkeit beim Schiffbau für ihn als Ingenieur ein komplexes Thema, das genau betrachtet und abgewogen werden muss. „Viele auf den ersten Blick nachhaltige Lösungen sind bei genauerer Betrachtung der Herstellung oder Lieferketten ggf. gar nicht so nachhaltig, speziell bei der sehr langen Betriebsdauer, für die das Schiff gebaut wird.“

Die neue Polarstern wird voraussichtlich etwas größer als die ‚alte‘ werden. Wie der Decksaufbau inklusive der Labore, Kabinen, Nutzräumen und Brücke sein wird, ergibt sich erst aus dem Entwurf der zukünftigen Bauwerft –abhängig von der optimalen Integration aller Funktionalitäten“, erklärt Detlef Wilde. Deshalb gibt es auch noch kein offizielles Logo für die Arbeitsgruppe der „Polarstern II“. „Was nützt es, wenn wir uns jetzt ein Logo ausdenken und der Schattenriss des Schiffes später anders aussieht?“, schmunzelt der Ingenieur.

Für ihn spiegelt sich die Nachhaltigkeit des neuen Forschungseisbrechers nicht nur in der technischen Ausgestaltung, sondern auch in den „weichen Faktoren“. Verwendete Materialien beim Innenausbau vom Teppich bis zu Möbeln, die Bettdecken in den Kojen und sogar die Verpflegung werden eine Rolle bei der Umweltverträglichkeit an Bord der „Polarstern II“ spielen. „Das Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat ja in der Antarktis die Zucht von frischem Gemüse in Nährlösung statt Erde und mit künstlichem Licht getestet. Auch so etwas könnten wir auf der Polarstern II einbauen, damit die Mannschaft in einem gewissen Rahmen nachhaltiges, frisches Gemüse statt nur Tiefkühlkost bekommt“, überlegt Detlef Wilde.

Sobald die Werft ausgesucht ist, soll umgehend mit dem Bau der Polarstern II begonnen werden. „Ziel ist es, die ‚alte‘ Polarstern 2027 durch ihre moderne und nachhaltige Nachfolgerin abzulösen“, sagt Detlef Wilde. Wozu er keine Schätzung abgegeben mag, sind die Baukosten. „Wir sind gerade erst am Anfang des Projektes und es werden mehrere Jahre vergehen, bis die Polarstern II zu ihrer ersten Testfahrt aufbricht. Natürlich gibt es geplante Finanzrahmen, aber jetzt schon eine konkrete Summe zu nennen, macht keinen Sinn.“

2027 soll die „Polarstern II“ dann in Betrieb gehen. Bis dahin ist die „Polarstern“ weiterhin im Einsatz in der Antarktis und der Arktis. Was nach der Indienststellung des neuen Schiffes mit der alten „Polarstern“ geschieht, steht noch nicht fest. Und auch, wenn noch mehrere Jahre bis zur ersten Expedition der „Polarstern II“ vergehen, kann Detlef Wilde jetzt schon eines sagen: „Dieses Schiff wird Maßstäbe setzen in der Kombination von Funktionalität und Nachhaltigkeit.“


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