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GREEN SCIENCE, Neues aus Forschung, Bildung, Wissenschaft

Weniger CO2-Emissionen, mehr Nutzen

Die Hochschule Bremerhaven entwickelt und testet mit Erfolg eine Pilotanlage, um Abwasser aus Kläranlagen umwelttechnisch zu optimieren

Über zwei Jahre lief in den Laborräumen der Hochschule Bremerhaven an der Van-Ronzelen-Strasse eine eher unscheinbare Versuchsanlage. Das Ziel dieses Pilotprojektes ist zugleich ehrgeizig und vielversprechend. Im Rahmen des Prozesses der Reinigung von Abwässern soll entgegen dem bisherigen Ablauf deutlich weniger CO2 entstehen, außerdem eine optimale Nachnutzung der Reststoffe, beispielsweise als Düngemittel, möglich sein. Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Dieter Lompe zeigt mit dem Daumen nach oben, „denn die dokumentierten Ergebnisse sind so vielversprechend, dass ein Antrag auf Fortsetzung des Forschungsprojektes gestellt wird“.

 „Mehr Biogas, mehr Wertstoffe“,  ist die knappe Formel, die laut Lompe gut beschreibt, worum es bei dem von der Bremerhavener Wirtschaftsförderung BIS und EFRE-geförderten Forschungsprojekt „WECK – Weniger CO2 aus Kläranlagen“ im Kern geht. „Wir, das heißt in diesem Falle 1,5 bewilligte Forschungsstellen (eine Ingenieur, eine halbe Assistenzstelle),  haben eine Versuchsanlage geplant, von einem Anlagenbauer aus der Region installieren lassen und über gut zwei Jahre an sieben Tagen 24 Stunden betrieben, die beispielsweise deutlich mehr organische Stoffe in Biogas umwandelt als bisher und zusätzlich Ammonium zur Verwertung als Düngemittel abtrennt“, so Lompe.

Die ersten Ergebnisse die in diesen Tagen auch als Manuskript mit etlichen Abbildungen veröffentlicht werden, sind also mehr als vielversprechend, um die Versuchsreihen fortzusetzen, größer und unter Realbedingungen, wie Lompe erklärt. Bislang mussten alle drei Tage Chargen von der Kläranlage Bremerhaven abgeholt werden, um sie dann in der Anlage im Hochschul-Labor weiterzuverarbeiten. Hier sei laut Lompe eine Ungenauigkeit bei der Datenermittlung vorhanden, da sich die Proben nach ihrer Entnahme Vorort schnell veränderten.

Wenn man den Maßstab auf die behandelte Wassermenge bezieht, dann ist die Versuchsanlage etwa um den Faktor 200.000 kleiner als die Zentralkläranlage Bremerhaven. Sie steht bislang noch seit 2020 in den Laborräumen der Bremerhavener Hochschule auf einer separierten Fläche von ca. 6 qm. Das eigens installierte und eingerichtete Prozessleitsystem sorgte für einen problemlosen Dauerbetrieb und eine Fülle an Daten im automatisierten Betrieb.

Dafür flossen bislang Investitionsmittel von der EU und dem Land Bremen in Höhe von gut 450.000 Euro, die gut investiert sind.  Die bislang ermittelten Daten der umfänglichen Testreihen Lompes & Team passen zugleich gut in das erklärte politische Ziel des Land Bremen für „ein grüneres, CO2-freies Europa, das in die Energiewende, in erneuerbare Energien und in den Kampf gegen den Klimawandel investiert“.

Die aktuelle Versuchsanlage besteht aus vielen einzelnen Komponenten; ein 300 Liter-Bioreaktor, etliche Schläuche, Pumpen, Rohrstutzen sowie ein Schaltschrank. Die Hochschule verfügt zudem in einigen Bereichen über ein Notstromaggregat um bei Störungen keine Unterbrechung der Datenflüsse zu haben. Alle sechs Monate wurde nach Aussage Lompes ein Zwischenbericht verfasst, mit dem das Erreichen der vorgesehenen Ziele gezeigt werden konnte.

Umwelt- und Bioverfahrenstechnik, Energie- und Prozesstechnik und Wasserwirtschaft zählen zu den Forschungsgebieten von Dieter Lompe. Der Ingenieur Energie- und Verfahrenstechnik mit etlichen Praxisjahren in der Industrie, u.a. bei einer Tochterfirma des damaligen Bremer Vulkans, lehrt seit über zwei Jahrzehnten an der Bremerhavener Hochschule und nimmt regelmäßig Prüfungen für Bachelor- und Masterstudiengänge u.a. für „nachhaltige Energie- und Umwelttechnologien“ ab. In diesen Ingenieur-Studiengängen sind laut Lompe noch Studienplätze frei, die Bedingungen mit sehr gut ausgestatteten technischen Laboren seien in der Seestadt hervorragend. „Wir dürfen in einer Zukunftsbranche arbeiten und bieten hautnahes Lernen ohne überfüllte Hörsäle.“

Neben der reinen Lehre ist das durch Lompe begleitete Projekt „WECK“ ein willkommener Teil der Aktivitäten zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Nach diesem erfolgreichen Forschungsprojekt soll nach Lompes Wunsch das Verfahren noch praxisnäher weiter untersucht und verbessert werden. Bestmögliche Nutzung der Wasserressourcen, Kreislaufwirtschaft und Energieeinsparung gehören quasi zur wissenschaftlichen DNA von Lompe, die es gilt, in Zukunft noch viel stärker als bisher in den Wirtschaftsalltag einfließen zu lassen.

Dabei sei im ersten Forschungsschritt eine große Offenheit und Unterstützung der Bremerhavener Entsorgungsgesellschaft (BEG) mit der Zentralkläranlage (ZKA) am Luneort zur Kooperation vorhanden gewesen, so Lompe weiter.

Die ZKA in Wulsdorf bietet Entsorgungssicherheit für rund 175.000 Einwohner, also außer für Bremerhaven auch für die Stadt Geestland sowie den Gemeinden Loxstedt und Schiffdorf.Zusätzlich werden die Abwasserströme aus der Fischindustrie Bremerhavens aufbereitet. Ferner ist die BEG für den Betrieb und die Unterhaltung des rund 600 Kilometer langen Kanalnetzes zuständig – einschließlich sämtlicher sonstiger abwassertechnischen Anlagen und Einrichtungen wie Pumpwerke und Regenrückhaltebecken der Stadt Bremerhaven. (+Grafik)

Was heißt das in die Praxis übersetzt? Jeder Bürger verbraucht beim Abwasch, in der Dusche oder auf der Toilette Wasser, so verschmutzt landet es in der Kläranlage und als im Quartal abgerechnete Gebühr auf der Abwasserrechnung. Die BEB sorgen in verschiedene Prozessabläufen dafür, dass am Ende möglichst sauberes, schadstofffreies Wasser zurück in die Natur geleitet wird. Das Lompe-Team konnte nun in einem ersten Schritt den CO2-Ausstoß bereits drastisch reduzieren und zugleich mehr Energie und Rohstoffe aus dem geklärten Abwasser gewinnen. Bisher wird bei den Kläranlagen bundesweit nur ein kleiner Teil der organischen Stoffe aus dem Abwasser entsprechend genutzt.

Lompe: „Einschließlich der üblichen mechanischen Vorreinigung des Abwassers konnten unter Laborbedingungen nicht nur durchschnittlich über 90 Prozent der organischen Inhaltsstoffe für die Biogasbildung verwendet, sondern auch Ammonium vollständig für die Düngemittelproduktion zurückgewonnen werden. Letzteres muss somit nicht mehr mit Hilfe von Erdgas erzeugt werden.“

Nützlicher Nebeneffekt, der nicht zum eigentlichen Auftrag des Projektes zählte; auch der im Abwasser enthaltene Phosphor kann nach Angaben von Lompe zur Wiederverwertung abgetrennt werden. Damit stehe ein Prozess zur Verfügung, der eine vollständige Reinigung von Abwasser bei gleichzeitiger Nutzung der im Abwasser enthaltenen Wertstoffe ermöglicht, und das mit voraussichtlich weniger Energieeinsatz als im herkömmlichen Prozess.

ZKA-Betriebsleiter Holger Lührs von den BEG Betrieben war bei der  täglichen Abwasserprobe durch seine Mitarbeiter plus einer genauen Bestandsanalyse der Inhalte insofern gerne unterstützend behilflich und ist zugleich hochinteressiert über neueste Erkenntnisse, die dem Thema Abwasserverbesserung dienen.

Das Abwasser des Bremerhavener Ausbildungsklärwerks kommt derzeit aus über 70 Pumpwerken in der gesamten Seestadt wie auch aus der Lebensmittelindustrie im Fischereihafen. Letzteres sorgt nach Aussage Lührs in Bremerhaven für eine besonders günstige energetische Situation – durch die Abwasserzuleitungen aus dem Fisch lastigen Produktionsstandort Fischereihafen kommt viel Fett und somit viel Energie  an, die letztlich zu Strom umgewandelt werden kann. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass die ZKA am Luneort etwa bis zu 2MW/Std. an Strom mehr erzeugt, als sie verbraucht“, so Lühr.

Außerdem wird laut Lühr Klärschlamm aus unterschiedlichen überregionalen Klärwerken zur Weiterverarbeitung gen Luneort per LkW transportiert.

Prof. Dr. Ing. Dieter Lompe: „Beim üblichen Belebtschlammprozess wird über die Hälfte der im Abwasser enthaltenen organischen Stoffe mit Luft-Sauerstoff durch Mikroorganismen in CO2 umgewandelt. Der Rest wird durch Bakterienwachstum zu Klärschlamm, der nur teilweise zu Biogas umgesetzt und energetisch genutzt wird. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, sondern wir verlieren dabei auch wichtige Rohstoffe, die wir beispielsweise als Düngemittel dringend benötigen.“

Das Projekt „Weniger CO2 aus Kläranlagen (WECK)“ wurde gefördert im EFRE-Bereich „Förderung CO2 effiziente Wirtschafts- und Stadtstrukturen“.

Fazit: Bis zur Serienreife, sprich dem effizienten flächendeckenden Einsatz der Methode in deutschen Klärwerken sind noch einige Fragen abzuarbeiten. Zum Beispiel, wie die Reinigungsleistung auch bei sehr niedrigen Wintertemperaturen sichergestellt werden kann, welchen zusätzlichen Reinigungseffekt eine belüftete Nachreinigung erzielt oder ob mit einer abschließenden Ozonisierung eine Wasserqualität für die Grundwasseranreicherung erreicht wird, was bei längeren Dürreperioden immer wichtiger wird.

Wenn die nächsten Testphasen gut verlaufen, ist ein Einsatz in allen neuen Kläranlagen weltweit das Ziel, auch eine Umrüstung bestehender Klärwerke ist möglich.

Kurzvita Dieter Lompe: Der Ingenieur für Energie- und Umwelttechnik Dieter Lompe (62 Jahre) ist gebürtiger Gifhorner, hat an der TU Berlin im Bereich Energie- und Verfahrenstechnik promoviert und lehrt seit 23 Jahren an der HS Bremerhaven im Fachbereich I Technologie.


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