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Hohes Potential: Offshore-Windenergie im Aufschwung

Bundeskabinett verabschiedet den Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG).

Nach Jahren, die von fehlendem Ausbau und Stillstand geprägt waren, wird auch politisch wahrgenommen, dass die Offshore-Windenergie systemrelevant ist, zusätzlich befördert von weltweiten Krisenszenarien. Am 6. April 2022 hat das Bundeskabinett den Entwurf des Bundeswirtschaftsministeriums zur Änderung des Windenergie-auf-See-Gesetzes (WindSeeG) verabschiedet. Ziel ist ein deutlich gesteigerter Windausbau auf mindestens 70 Gigawatt (GW) bis 2045.  „Investoren und Banken sind an den Ausschreibungen interessiert, einige Hürden sind indes für die Realisierung von mehr Wind auf See noch zu überwinden“, erklärt Heike Winkler, Geschäftsführerin des Wind-Wasserstoff Industrieverbands und Innovationsclusters WAB e.V..

Die WAB e.V. mit Sitz in Bremerhaven setzt auf einen nachhaltigen Aufbau von Wind-auf-See-Lieferketten in Europa: „2030 ist heute“.

Seit April ist als politischer Wille formuliert, dass die Offshore Windenergie nun deutlich schneller ausgebaut werden soll. Die international aufgestellte Branche mit dem derzeit ambitioniertesten Ausbau in China – und in Europa dem Vereinigten Königreich – braucht in Deutschland derzeit deutlichen Aufwind. Deutschland war früh erfolgreich gestartet und hat durch politische Weichenstellungen stark nachgelassen. Mindestens 30 Gigawatt (GW) bis 2030, also nahezu eine Verfünffachung des Ist-Zustandes, und mindestens 40 GW bis 2035 soll Deutschland auf See ausbauen. Damit habe man , so Winkler, „endlich die Ambitionen, die die Industrie für einen nachhaltigen Ausbau braucht, wenn auch der Rahmen noch nicht stimmt“.

Der maritime Standort Bremerhaven hatte sich bereits ab 2002 mit dem Aufbau der Zulieferindustrie und später für die ersten Projektrealisierungen ab 2008 maßgeblich eingebracht. Durch diese frühzeitige Positionierung beim Thema Offshore – trotz vorübergehender Flaute in der Präsenz als „verlängerte Werkbank“(einschließlich Kreislaufwirtschaft) –  kann die Stadt weiter mit dem Standortfaktor an der Nordsee und mit starken Netzwerken punkten, ist Winkler überzeugt. Grundlage hierfür seien die nötigen Infrastrukturen wie zum Beispiel schwerlastfähige Flächen und der Raum für Ansiedlungen mit Wasserzugang.

Viel Fachkompetenz in der Wesermetropole

Das Bremerhavener Containerterminal „CT1“ bietet zum Beispiel attraktive Potenziale. Bremerhaven als maritime Hafenstadt kann laut Winkler ebenfalls punkten mit Kompetenz im Anlagen- und Maschinenbau, der Elektrotechnik, im Werft- und Schiffsbau sowie darüber hinaus mit  logistischen Knowhow und nautischen Qualifikationen entlang der Wertschöpfungsketten. Bremerhaven ist insofern als Standort prädestiniert, sich als wichtiger Akteur für Rückbau & Recycling oder auch für Wartung, Instandhaltung und Repowering der Windkraftanlagen auf See zu positionieren. Die erforderliche Forschung und eine breitaufgestellte Qualifizierungslandschaft ist ebenfalls bereits vorhanden.

Für Heike Winkler ist klar, dass der Standort Deutschland und die Seestädte am Meer wie eben Bremerhaven mit reichlich Know-how und Standortvorteilen aufwarten können. Zugleich dürfte vor dem Hintergrund der aktuellen Gaskrise mehr als deutlich werden, dass der Handlungsdruck enorm ist, oder wie Winkler knapp zugespitzt formuliert, „2030 ist quasi heute“.

In den Jahren 2008 bis heute wurden in der Nord- und Ostsee lediglich etwa 7.8 GW an Windenergieleistung installiert, verdeutlicht die Windenergie-Lobbyistin Winkler, wie ehrgeizig das nun erklärte Ziel von 30 GW in 2030 ist. Von der Planung bis zur Installation, der erforderlichen Logistik und bis zum Repowering oder auch der Ko-Nutzung brauche es nach Ihren Worten jetzt eine Gesamtanstrengung der Branche. Winkler vertritt die Interessen von rund 250 Unternehmer*innen, die direkt bzw. im Umfeld von On- und Offshore, der entstehenden Wasserstoffwirtschaft und der Maritimen Industrie agieren.

Hochlauf braucht konzertierte Aktion

Bisher stand die noch junge Offshore Windindustrie in erster Linie vor etlichen Herausforderungen. Der nach Aussage Winklers politisch verordnete fehlende Ausbau auf See nach Aufbau der geschlossenen Wertschöpfungskette in Deutschland – so weltweit im Übrigen bisher einzigartig –  führte beispielsweise zum Verkauf der Spezialschiffe von Hochtief an das belgische Unternehmen Deme. Strabag SE investierte seinerzeit große Summen in den Bau einer Fabrik von selbst entwickelten Beton-Schwerkraftfundamente für Offshore-Windkraftanlagen. Trotz guter und innovativer unternehmerischer Konzepte sei es dann  durch die verordnete „Strompreisbremse“ zu Insolvenzen, Verkäufen und Abwanderungen von Fachpersonal ins Ausland sowie den Verlust von vielen hunderten Millionen Euro Investitionen gekommen, konstatiert Winkler. Die ehemals vorhandenen Glieder der Wertschöpfungskette müssten heute in Teilen importiert werden, mit entsprechenden Abhängigkeiten. Von ehemals rund 29.000 Beschäftigten in der Offshore-Windenergieindustrie bundesweit sind als ein Resultat momentan noch rund 21.500 Menschen in der Branche bzw. bei den Zulieferern tätig.

Heike Winkler: „Für die Umsetzung der ehrgeizigen Ausbauziele der Windkraft auf See und einer maritimen Energiewende inklusive ‚grüner‘ Wasserstoffwirtschaft braucht es zügig einen Fahrplan zu einer nachhaltigen internationalen Zusammenarbeit und eine Qualifizierungs- und Beschäftigungsoffensive.“

Entsprechende Flächen in Nord- und Ostsee zum Ausbau seien weiter verfügbar für einen Booster an neuen leistungsstarken Windparks auf See, klingt Winkler trotz allem zuversichtlich. Finanzierer und Investoren stünden nämlich bereit. Projektierer müssten künftig allerdings – ähnlich wie bei den Versteigerungen der Mobilfunklizenzen – erst einmal Geld auf den Tisch legen, um überhaupt ein Offshore-Windenergieprojekt realisieren zu dürfen, kritisiert Winkler. Statt einem Zuschlag für das effizienteste, innovativste und nachhaltigste Projekt erhalte der Bieter den Auftrag, der den höchsten Preis für die Nutzungsrechte der Fläche bezahle.

Grüner Wasserstoff als Treiber

Positiv ist, mit Einschränkungen, nach Aussage Winklers auch der im WindSeeG festgelegte Hochlauf der Wasserstoffproduktion mit Offshore Windenergie, „und zwar durch ab 2023 jährliche Ausschreibungen von 500 Megawatt installierter Leistung. Denn leider biete der regulatorische Rahmen noch kein Geschäftsmodell. „Das gibt es nur für importierten Wasserstoff“. Winklers Zwischenfazit: „Wir brauchen Strom und grünen Wasserstoff, um die Energiewende auch für die Industrie und den Wärmebereich sowie für die maritime Energiewende zu schaffen. Hier kann Bremerhaven einen wichtigen Beitrag leisten. Mit der Kompetenz im Bereich Windenergie, maritimer Industrie und der starken Bildungs-, Qualifizierungs- und Forschungslandschaft und natürlich dem Standortvorteil Hafen, bringt unsere Seestadt bei entsprechender Motivation alles mit, um die Wind-Wasserstoffwirtschaft, die Energiewende an Land und auf See voranbringen zu können.“

Laut einer aktuellen Wertschöpfungs- und Beschäftigungsstudie des Bremer Instituts wind:research werden langfristig 50.000 Vollzeit-Beschäftigte für die Offshore-Windenergie benötigt. Ein weiteres großes Anliegen ist für Heike Winkler daher die Stärkung der Fachkräftesituation. Die Branche hat als Zukunftsindustrie mittlerweile einen hohen Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften. „Viel gutes Personal ist als Folge des nicht erfolgten Zubaus ins Ausland abgewandert“, weiß Winkler aus eigener Erfahrung beim Windanlagenhersteller Adwen (zuvor AREVA Wind und ehemals Multibrid) , der bis zur letzten Belieferung des Ostsee-Windparks Wikinger im Jahr 2017 im Bremerhavener Fischereihafen seriell Offshore Windenergienanlagen gefertigt hat. Die WAB-Geschäftsführerin plädiert einmal mehr für eine konzertierte Aktion, eine Qualifizierungs- und Ausbildungsoffensive und die Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur als Teile der Lösung, unterstützt vom Bund.

Ebenfalls wichtig: Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen weiter beschleunigt werden. Außerdem fehlt nach wie vor ein regulatorischer Rahmen, der Geschäftsmodelle für „grünen“ Wasserstoff ermöglicht.

 Das Wind-Netzwerk: Die WAB mit Sitz in Bremerhaven ist bundesweiter Ansprechpartner für die Offshore-Windindustrie, das Onshore-Netzwerk im Nordwesten und fördert die Produktion von „grünem“ Wasserstoff aus Windstrom. Dem Verein gehören gut 250 kleinere und größere Unternehmen sowie Institute aus allen Bereichen der Windindustrie, der maritimen Industrie sowie der Forschung an. www.wab.net

 

EXTRAS

Ausbau-Potenzial ist vorhanden

Eine neue Studie des Forschungsinstituts Fraunhofer IWES hat in verschiedenen Szenarien errechnet, dass mehr als die von der Bundesregierung vorgesehenen 70 Gigawatt Offshore-Windenergie bis 2045 in der deutschen Nord- und Ostsee realisierbar wären. Voraussetzung sind zum einen Strategien für eine effizientere Nutzung der heute verfügbaren Flächen. Das Gesamtpotenzial der Offshore-Windkraft in Deutschland könnte sich so laut Fraunhofer-Studie auf knapp 82 Gigawatt erhöhen. „Damit könnte die Offshore-Windkraft einen noch höheren Beitrag zum Klimaschutz und zur Energiewende leisten“, so Heike Winkler von WAB e.V..

Doch es gehe nicht alleine um Quantität, sondern um die bestmögliche Flächeneffizienz, also den Ertrag pro Quadratkilometer“, erklärt Winkler dazu. So könne der Ertrag beispielsweise auch deutlich durch die Modernisierung von Bestandsanlagen in der Nordsee gesteigert werden. Damit ließen sich mehr Kilowattstunden auf derselben Fläche erzeugen. Hierzu muss Repowering besonders unterstützt werden. Die rund 81 GW entsprechen Erträgen von bis zu 292,1 TWh bei rund 3.580 Volllaststunden der Windparks in der Ausschließlichen Wirtschafts-Zone. Als AWZ wird das Meeresgebiet seewärts des Küstenmeeres (12-Seemeilen-Zone) bis maximal zur 200-Seemeilen-Grenze bezeichnet. Bei sinnvoll geteilter Nutzungsansätze kann dieses Areal auch darüber hinaus gehen, sprich die Anzahl an Volllaststunden kann bei einer effizienteren Planung in der Fläche noch deutlich höher ausfallen.

CO2-Sparmaßnahmen

Wie sehr die Gaskrise auf die Wertschöpfungskette (und damit auf die Kosten) durchschlägt, verdeutlicht das Beispiel des Bremer Stahlwerkes ArcelorMittal. Es verursacht heute etwa die Hälfte des CO2-Ausstoßes im Land Bremen. Ohne die geplante Umrüstung des Werkes auf Wasserstoff ist die Klimaneutralität im Land Bremen nicht realisierbar. Die mehr als 3,5 Millionen Tonnen Rohstahl, die dort pro Jahr hergestellt werden, sind nicht nur für Offshore-Projekte wichtig.


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