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Fischereiforschung der Zukunft

40 Millionen Euro für die Fischereiforschung – Bremerhaven bekommt neue Bundes-Institute

Wie viel Fisch darf gefangen werden? Ist Speisefisch mit Mikroplastik belastet? Fragen, denen die deutsche Fischereiforschung nachgeht. Die entsprechenden Bundes-Institute werden nun in Bremerhaven zusammengelegt. Der Bund erhofft sich neue Erkenntnisse und stattet die 150 Forscher mit einer hochmodernen Ausrüstung aus.

Silberne Außenhaut erinnert an Fisch

Das Gebäude-Design ist wie aus einem Science-Fiction-Film: Eine Front aus Leichtmetall-Platten deckt die Außenwände ab. Fenster sucht man an dem Neubau im Bremerhavener Fischereihafen auf den ersten Blick vergebens, sie sind hinter aufklappbaren Metall-Lamellen versteckt. Trotzdem gibt die Farbe der Fassade einen eindeutigen Hinweis auf das Innenleben: Sie ist silbern wie ein Fisch, und um Fische geht es überall in dem vierstöckigen Forschungsinstitut. In dem ungewöhnlichen Gebäude neu beheimatet sind die Bereiche Seefischerei und Fischereiökologie des Thünen-Instituts, das wiederum zum Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gehört. Nach gut dreijähriger Bauzeit nehmen bald auch die Forscher ihre Arbeit auf.

7.000 Quadratmeter Nutzfläche für zwei Institute

Einer von ihnen ist Gerd Kraus. Er ist Leiter des Instituts für Seefischerei. Zusammen mit den Kollegen vom Institut für Fischereiökologie wird sein Team zukünftig in Bremerhaven auf 7.000 Quadratmetern Nutzfläche forschen. Noch sind die beiden Bundes-Institute an vier Standorten in Hamburg, Cuxhaven und Ahrensburg verteilt. Durch den 40 Millionen Euro teuren Neubau in Bremerhaven bündelt der Bund die Aktivitäten an einem Standort. Die Wissenschaftler erhoffen sich dadurch einen besseren Austausch und einen positiven Effekt für ihre Forschungsarbeit. „Außerdem wird der logistische Aufwand durch den gemeinsamen Standort stark verringert“, sagt Gerd Kraus.

Heimathafen von größtem deutschen Fischereiforschungsschiff

Bremerhaven wurde als Standort für das neue Thünen-Institut deshalb gewählt, weil hier bereits das Bundesforschungsschiff Walther-Herwig III seinen Heimathafen hat. Das gut 63 Meter lange Schiff ist das größte deutsche Fischereiforschungsschiff, es untersucht die Fischbestände im ganzen Nordatlantik bis vor Grönland. Bisher musste für die Expeditionen die gesamte Ausrüstung jedes Mal von Hamburg nach Bremerhaven gebracht werden. Bei der Rückkehr des Schiffes wurden Forschungsgeräte und Ausbeute per Lkw wieder nach Hamburg gefahren. „Das ist in Kürze vorbei“, freut sich Gerd Kraus. „Wir haben hier mehrere große Lagerräume für die Ausrüstung und können die Schiffe direkt am Gebäude beladen.“

Neben der Walther-Herwig III sind für das Bundeslandwirtschaftsministerium auch die 42 Meter lange Solea mit Heimathafen Cuxhaven und die Clupea mit Heimathafen Rostock im Einsatz. Die Thünen-Institute erarbeiten für die Fischereipolitik der Bundesregierung wissenschaftliche Grundlagen als Entscheidungshilfen.

Wasserverbrauch von 90 Millionen Litern jährlich

„Einer unserer Schwerpunkte ist die Aquakultur-Forschung“, erklärt Reinhold Hanel beim Gang durch das Gebäude. Hanel leitet das Institut für Fischereiökologie. In einer großen Halle stehen kreisrunde Bassins und Aquarien-Regale. Noch sind die Behälter leer. Das Wasser und die Fische sollen in Kürze folgen. Befüllt werden können rund 400 Becken und Einzelaquarien. Beeindruckende 90 Millionen Liter Wasser werden jährlich durch die Leitungen des Thünen-Instituts fließen. „Das hört sich viel an – ist es aber nicht“, sagt Reinhold Hanel. „Wir verbrauchen hier nur 2,8 Liter Wasser pro Sekunde. Zum Vergleich: Bei kommerziellen Aquakulturen sind es bis zu 50 Liter pro Sekunde.“ Der Grund für den geringen Wasserverbrauch in Bremerhaven: Die moderne Anlage filtert das Wasser und nutzt es in Kreisläufen mehrfach.

Ökologischer Neubau mit Erdwärme

Ökologie wird großgeschrieben bei dem Neubauprojekt und der Zusammenführung der beiden Bundesinstitute. Gerd Kraus tritt fest mit dem Fuß auf den massiven Betonboden auf. „Hier drunter sind 340 Gründungspfähle, auf denen das Gebäude steht. 100 Stück davon sind sogenannte Geothermiepfähle. Wir nutzen die Erdwärme. Mit der Energie heizen oder kühlen wir das Haus.“ Außerdem umgibt das gesamte Gebäude eine 24 Zentimeter dicke Isolierschicht. Darüber liegen die Metall-Platten der Außenhülle: 2.000 Stück an der Zahl. „Das ist aber nur Schmuck und hat – abgesehen von der Beschattung – keine Funktion“, erklärt Gerd Kraus.

Auswirkungen des Klimawandels werden erforscht

An anderer Stelle im Gebäude spielt Metall ebenfalls eine Rolle. Ein Teil der Flurwand ist damit verkleidet. Mittendrin ist eine massive Metalltür mit einem runden Fenster in der Mitte. Reinhold Hanel zieht am Türgriff und muss sich beim Öffnen der Tür sichtbar ins Zeug legen. Er lacht: „Das hier ist unser ‚Hochsicherheitsbereich‘. Durch die extreme Isolierung und die Klimaanlage erreichen wir, dass die Raumtemperatur im Betrieb nicht stärker als 0,1 Grad Celsius schwankt.“ Die Forscher brauchen diese stabile Raumatmosphäre für ihre Experimente. In den Spezialräumen wird untersucht, wie sich der Klimawandel auf die Fischbestände in den Meeren auswirkt. In den Becken leben die Fische bei verschiedenen Temperaturen und vermehren sich. Die Forscher wollen unter anderem sehen, ob und wie sich die Zahl der Jungfische bei kontrollierten Temperaturschwankungen verändert.

Großer Zugewinn für Wirtschaft und Wissenschaft

Bis Mitte nächsten Jahres sollen die rund 150 Beschäftigten des Thünen-Instituts komplett in Bremerhaven arbeiten. Fast die gesamte Belegschaft wird deshalb nach Bremerhaven umziehen; einige bleiben mit ihrem Hausstand in Hamburg und pendeln. Für die Stadt sei der Umzug des Instituts ein großer Zugewinn, sagt Nils Schnorrenberger, Geschäftsführer der städtischen Wirtschaftsförderung BIS. „Mit den Thünen-Instituten für Fischereiökologie und Seefischerei erhält Bremerhaven weitere bedeutsame wissenschaftliche Einrichtungen, die eine hervorragende Ergänzung der Fisch- und Lebensmittelwirtschaft darstellen.“ Er rechnet mit Kooperationen mit dem Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) vor Ort. „Damit gewinnt der Wirtschaftsstandort Bremerhaven weiter an Attraktivität.“ Mit Präsentationsveranstaltungen und geführten Bustouren habe die BIS den Institutsmitarbeitern viele positive Aspekte von Bremerhaven als neuem Lebens- und Arbeitsort vermitteln können.

Mikroplastik in Fischen

Mit dem Neubau in Bremerhaven gibt es auch neue Forschungsmöglichkeiten für die Wissenschaftler. „Wir werden in der Aquakultur unter anderem einen Schwerpunkt auf Mikroplastik legen“, sagt Reinhold Hanel. Diese kleinen Plastikpartikel befänden sich immer stärker im Meer und damit auch in den Speisefischen. „Wir wollen hier im Institut mit neuen Messmethoden herausfinden, wie stark die Fische damit belastet sind.“ Auch Gerd Kraus freut sich auf eine neue Ausrüstung für sein Institut. „Bisher war es nicht so einfach, die Schäden am Meeresgrund durch die Schleppnetz-Fischerei zu dokumentieren. Das wird zukünftig anders. Wir bekommen einen autonomen Tauchroboter, der direkt hinter den Fisch-Trawlern herfährt. Was dann am Meeresgrund passiert, sehen wir schon im selben Moment auf den Bildschirmen.“

 

Autor: Helmut Stapel


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