Nachhaltige Haussanierung mit Substanz und Herz
Wer ein 125 Jahre altes Mehrfamilienhaus kernsanieren will, braucht mehr als nur Werkzeug – vor allem, wenn die Nachhaltigkeit dabei im Vordergrund steht. Im Bremerhavener Verein „WERK.“ haben sich junge Menschen zusammengeschlossen, die aus einem Altbau ein Zukunftshaus machen.
Die Fassade der Hausnummer 218 in der Bürgermeister-Smidt-Straße ist eingerüstet und mit Baustellen-Plane abhängt. Es ist offensichtlich: Hier wird ordentlich gerissen. Fiona Brinker sitzt vor dem Haus auf einer Bank und tippt auf ihrem Laptop: Baumaterial bestellen. „Ich könnte auch reingehen. Eine Wohnung haben wir als Büro praktisch schon fertig. Aber hier draußen ist es etwas ruhiger“, sagt sie fröhlich.
Nachhaltige Pläne
Dass die 26-jährige Bremerhavenerin ihre gute Laune noch nicht verloren hat, ist angesichts der Baustelle erstaunlich. Gemeinsam mit Jonas Hummel und Niklas Piatkowski hat sie das Haus gekauft und arbeitet seit gut drei Jahren daran, den Altbau in ein wohnfähiges Gebäude zu verwandeln. Unterstützt werden sie dabei von den rund 15 Leuten, die ehrenamtlich am Projekt mitarbeiten. Im Erdgeschoss wird gerade mit einem Abbruch-Hammer der komplette Beton-Fußboden weggerissen. „Hier ziehen wir mit unserem Café ein und verlegen Fußbodenheizung. Das ist energetisch besser“, zeigt die Jung-Unternehmerin in die Runde.
Die Nachhaltigkeit spielt bei dem ehrgeizigen Projekt eine wesentliche Rolle. Der Altbau soll so weit wie möglich in den Urzustand versetzt und trotzdem modern werden. „Wir verputzen die Wände zum Beispiel mit einer selbst angerührten Lehmmischung. Das ist früher auch so gemacht worden und gibt eine hervorragende Raumluft“, erzählt Fiona beim Gang nach oben über die abgewetzte Holztreppe. „Hier schleifen wir auch noch alles ab.“
Eine dynamische Hausgemeinschaft
Insgesamt 15 Wohnungen zu je drei Zimmern sind in dem Haus – teils mit eingezogenen Rigips-Wänden verändert. Diese Wände kommen raus und auch alte Wände werden rausgenommen. „Wir machen einen zeitgemäßen Zuschnitt auch mit Blick auf die Weser hinter dem Haus. Das Ziel ist, hier nachhaltige Unternehmen und Start-Ups anzusiedeln und gleichzeitig das Wohnen zu ermöglichen – eine dynamische Hausgemeinschaft mit offenen Türen.“
Noch während die Umbauphase läuft, ist das bereits gelungen. Eine Firma recycled Plastik durch thermische Prozesse und formt daraus neue Produkte – geruchsneutral, versteht sich. Eine andere Firma hat sich auf die Reparatur von Gebrauchsgegenständen spezialisiert und bietet gleichzeitig die Nutzung von hochwertigen Maschinen für Fräs-Arbeiten an. Ein weiteres Projekt ist die Reparatur von Fahrrädern.
Keine Industriefarbe
Im Flur werden Stromkabel gezogen, hinter einer geöffneten Wohnungstür Holzfußöden abgeschliffen, überall warten raue Wände darauf, verputzt und neu gestrichen zu werden. „Auch dafür haben wir eine tolle Lösung. Ein Maler hat eine alte Farbrezeptur mit Ei und Quark für uns entdeckt. Auf dem Lehm-Putz sieht das in dem matten Weiß aus wie aus dem Wohnmagazin. Industriefarbe brauchen wir nicht“, schwärmt die Hausbesitzerin.
Auf dem Dach soll eine Photovoltaik-Anlage zukünftig für Strom sorgen, die Wände werden innenliegend wärmegedämmt und die Hausfassade soll begrünt werden. Kernstück des Hauses wird das Café „Findus“ im Erdgeschoss. Fiona und ihr Mann haben das gleichnamige Café mit angeschlossener Backstube vorher gleich nebenan betrieben, brauchten aber neue Räume. „Das hier ist perfekt. Ende des Jahres wollen wir eröffnen. Alle Produkte sind nachhaltig produziert, in der Backstube fast ausschließlich per Hand. Außerdem sind wir biozertifiziert“, betont Fiona Brinker stolz.
Geduld ist gefragt
Rund 600.000 Euro haben die jungen Visionäre für das nachhaltige Wohnen im Altbau bereits investiert – über Fördermittel und größtenteils Kredite. Der Umbau im Erdgeschoss und im ersten Stockwerk sind damit abgedeckt. Oben drüber warten noch weitere vier Stockwerke darauf, saniert und mit neuem Leben erfüllt zu werden. „Wir nennen es „das Nie-Fertig-Haus“, lacht Fiona und gibt ihrem Hund Beppo einen fröhlichen Klapps auf das Hinterteil. Unten fängt der Abrisshammer wieder an zu lärmen. Weiter geht´s.