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GREEN SCIENCE, Klimawandel, Neues aus Forschung, Bildung, Wissenschaft

Das Meereis befindet sich auf dem Rückzug

Die Arktis hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich schneller erwärmt als der Rest der Welt. Mit drastischen Folgen für das Meereis.

Der Meereisphysiker Thomas Krumpen vom Alfred Wegener Institut (AWI) in Bremerhaven spricht von einem Rückgang der mittleren Eisdicke um ca. 20 Prozent in den vergangenen 20 Jahren. Um zu erfassen, wie dick das Packeis der Nordpolarregion ist, nutzen Forschende vor allem Satelliten, aber auch Flugzeuge kommen zum Einsatz.

Weitere Expedition im März geplant

Das AWI zählt bei den Datenanalysen der Wintermessungen zur Meereisdicke per Satellit als die führende Forschungsinstanz für die Europäische Weltraumorganisation ESA. Mit neuen Verfahren zur Messung auch in den Sommermonaten sollen die seit den 2000er Jahren ermittelten Messergebnisse von Meereisphysiker Thomas Krumpen und seinen Kolleg*Innen nun zusätzlich angereichert werden.

Zwei Flieger vom Typ DC3 (Polar 5&6) des AWI Bremerhaven stehen in einem Hangar am Bremer Flughafen und warten indes aktuell auf ihren neuesten Flug- und Messeinsatz. Thomas Krumpen ist regelmäßig in den kalten Gefilden der Arktis unterwegs und plant gerade eine März-Expedition, um den fortschreitenden Klimawandel zu dokumentieren. „Messungen, die wir in den vergangenen Jahren von Grönland aus mit unseren Forschungsflugzeugen unternommen haben, zeigen immer dünner werdendes Eis. Auch zieht sich der Eisrand immer weiter nach Norden zurück und hinterlässt große Flächen offenen Wassers“, erzählt Krumpen.

Der 43jährige Krumpen ist mittlerweile ein „alter Hase“, wenn es um Beobachtung, Erhalt und Ausbau von Beobachtungszeitreihen der Eisdicke geht. Auf der weltweit beachteten Polarexpedition „MOSAiC“ mit dem in Bremerhaven beheimateten Forschungsschiff und Eisbrecher „Polarstern“ war er ebenfalls dabei und mit dem Aufbau eines autonomen Netzwerkes rund um den Eisbrecher betraut.

Der Rückzug der Eiskante im Sommer fällt laut Krumpen drastischer aus, als es Computerberechnungen vermuten lassen. Seit 1979 hat das arktische Meereis demnach etwa zwölf Prozent Fläche pro Jahrzehnt verloren. Die Tendenz zu einer stetig abnehmenden Eisfläche setzte sich auch 2022 fort.

Mess- und Trainingsflüge über der Nordsee zur Vorbereitung

„Zwei Wissenschaftler, zwei Piloten und zwei Techniker bilden eine schlagkräftige Truppe“, freut sich Krumpen auf die bevorstehende Forschungsreise in diesem Frühjahr. Bevor es zum März/April mit der Propellermaschine DC3 Richtung Klimaforschung und Meereis geht, wird Krumpen in heimischen Gefilden u.a. die Sensorik testen. „Ärgerlich wäre, wenn nach der teuren Anreise per Flugzeug die Technik am Messort nicht funktionieren würde“, erklärt er. Daher erfolgen im Vorfeld der Kampagne Mess- und Trainingsflüge über der Nordsee. Zeitgleich werden dann auch Daten über den Niedersächsischen Landesforsten gesammelt, die Förster*Innen bei der Erfassung des Waldzustands unterstützen sollen. Somit wird ein zusätzlicher Nutzen neben der eigentlichen Aufgabe generiert.

Seit den 80er Jahren werden Satelliten eingesetzt, um die Dicke des Eises in der Arktis zu messen. Aber die Technik aus dem All funktioniert nur im arktischen Winter – von Oktober bis April – wenn Eis und Schnee kalt und trocken sind. Gemessen wird unter anderem die Oberflächenrauigkeit des Eises, per Satellit (CryoSat-2) auch die Höhe der Eisscholle, die aus dem Wasser ragt, um somit auf die Eisdicke schließen zu können.

Flugzeugmessungen dienen der Validierung von Satellitenmessdaten

Die ergänzenden AWI-Einsätze per Polarflieger sind wohl einzigartig und liefern auch im Sommer verlässlichere Daten, als es per Satellit möglich wäre. Denn der Satellit stößt im Sommer an Grenzen, da Schmelzprozesse an der Eisoberseite die Messungen aus dem All erschweren. Ausgerüstet wird die frühere DC3 (modifiziert als „Basler BT-67“) mit einem Messkörper, der einem Torpedo ähnlich sieht. Der wird unter der Propeller-Maschine befestigt und wird dann am Flugziel mittels eines Schleppseiles bis nur etwa 15 Meter über der Eisfläche abgelassen. Diese Form der Messung  braucht laut Krumpen einen erfahrenen Piloten, um etliche Kilometer aus der Luft quasi zu kartografieren. Der Bremerhavener Klimawissenschaftler Krumpen sitzt indes an mehreren Bildschirmen im Flugzeug und überwacht die fliegerischen Datenmessungen. Krumpen: „Die Flugzeugmessungen sind sehr genau und decken große Bereiche ab. Sie eignen sich daher besonders für die Validierung.

Thomas Krumpen:  „Mit den ganzjährigen und arktisweiten Daten bekommen wir ganz neue Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre und Ozean.“

Zugleich werden im direkten Austausch mit Forscherkollegen*innen die seit den 80er Jahren laufenden Messreihen weiter verfeinert. Während das AWI-Produkt robust wie gehabt kontinuierlich im Winter im Hintergrund weiterlaufe, so Krumpen, hat parallel  dazu ein internationales Team mit Beteiligung des AWI nun ein Verfahren entwickelt, das erstmals ermöglicht, die Veränderungen der arktischen Meereisdicke für die Jahre 2011 bis 2021 zu bestimmen – auch in den Sommermonaten. Damit können Daten die Schifffahrt in der Arktis mit der erweiterten Qualität von Wetter und Eisvorhersagen beispielsweise besser unterstützt werden.

Künstliche Intelligenz unterstützt

Ein Forschungsteam unter Leitung von Jack Landy aus Norwegen ( Erstautor der Studie „A year-round satellite sea-ice thickness record from CryoSat-2“ vom Fachbereich Physik und Technologie der Universität Tromsø und mit Co-Autor Thomas Krumpen) hat mit Hilfe von künstlicher Intelligenz frühere Daten von Satelliten untersucht, um zu sehen, wann sie Eis, Schmelztümpel oder den offenen Ozean registrieren. Mit Hilfe einer Deep-Learning Methode und numerischen Simulationen ist es ihnen erstmals gelungen, aus diesen Daten die Eisdicke auch während der Schmelzphase in den Sommermonaten aus dem Weltall hinreichend genau zu bestimmen. So entstand ein Datensatz, der zum ersten Mal die Dicke des Meereises in der gesamten Arktis und über ein ganzes Jahr hinweg zeigt.

Wichtig: Erst mit entsprechenden Vergleichsmessungen konnte die Gruppe abschätzen, wie genau die neu entwickelte Methode ist. Ein Großteil dieser Daten stammte zudem aus den IceBird-Kampagnen der genannten Polarflugzeuge des AWI.

Thomas Krumpen: „Mit den Polarfliegern des AWI sammeln wir Informationen über die Dicke und Oberflächen-Beschaffenheiten des arktischen Eises und seine Veränderungen im Laufe der Zeit.“

Darüber hinaus wird laut Krumpen in der Seestadt gerade das mittlerweile etwa 20 Jahre alte „Torpedo-System“ komplett überarbeitet. Das neue System was sich derzeit in der Erprobung befindet, ist robuster und erfasst neben der Eisdicke auch eine Reihe anderer Messdaten.

Die neuen Satellitendaten zur Eisdicke im Sommer sollen nun in Meereisvorhersagen eingesetzt werden, um deutlich früher genauere Aussagen über die Eisausdehnung und das Eisvolumen im Sommer treffen zu können.

Darüber hinaus soll in Zukunft auch verstärkt in die Entwicklung von Messtechnik investiert werden, die sich auf Drohnen einsetzen lässt.

Apropos: Thomas Krumpen geht übrigens wie er gerne bestätigt mit Freude an  Schulen in Bremerhaven und Bremen, um dort in praxisnahen Vorträgen auf die Klimathematik aufmerksam zu machen. Die Resonanz der Jugendlichen und Kinder sei immer wieder toll und erfrischend unverstellt.

 

Jährliche Messkampagnen zur Eisbildung

Dr. Thomas Krumpen hat ursprünglich Forstwirtschaft in Göttingen studiert und sich bereits im Studium auf die Auswertung von Satellitendaten spezialisiert. Die Anwendung von Satelliten für das Umweltmonitoring hat er dann in einem Master- Studiengang in Belgien und den USA weiter vertieft. Nach einem kurzen Abstecher in die Schweiz begann Krumpen seine Promotion am AWI zum Thema „Eisbildung in den Schelfmeeren“.

Die Aufgabenstellungen, ob Waldzustandserfassung, oder Meereisdicken messen, liegen laut Krumpen gar nicht so weit auseinander.  Der Meereisexperte hat mittlerweile an zahlreichen Expeditionen in die zentrale Arktis und Russland teilgenommen und leitet eine jährlich stattfindende Messkampagne mit einem AWI-Forschungsflugzeug, um in den Sommermonaten die Eisdicke nördlich von Grönland und Kanada zu vermessen. Dies ist notwendig, da das schmelzende Eis im Sommer die Messung des Meereises mit Hilfe von Satelliten erschwert.

Datenportal für Alle

Meereis spielt eine zentrale Rolle im System Erde. Es kühlt den Planeten, beeinflusst Ozeanströmungen und ist Lebensraum für unzählige Arten.

Auf der soeben relaunchten Wissensplattform www.meereisportal.de haben Besucher*innen Zugang zu einer Reihe von Rohdaten (Satelliten, Echolot, Schneedicke und viele mehr) und können in einem neuem Einsteigerbereich selbst mit wenigen Klicks Meereisbedeckungskarten für bestimmte Tage des Jahres und Trendkurven für bestimmte Monate in der Arktis und Antarktis erzeugen und auch herunterladen. Fachleute vom AWI Bremerhaven und der Universität Bremen haben die regionalen Veränderungen sowie die klimatischen Bedingungen im Meereisportal umfassend analysiert und zusammengefasst. Das Portal verzeichnet durchschnittlich 25.000 bis 30.000 Zugriffe pro Monat.


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