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RICHTIG WIND MACHEN

Das Fraunhofer IWES trotz der Krise in der Windbranche

Seit zehn Jahren testet das Fraunhofer IWES in Bremerhaven Komponenten von Windenergieanlagen für die Industrie. Das Jubiläum des Instituts fällt in eine für die Branche schwere Zeit, denn der Ausbau der Windenergie in Deutschland ist ins Stocken geraten. Wie geht das Forschungsinstitut mit dieser Herausforderung um?

Die Bremerhavenerin Nora Denecke ist Windmensch, durch und durch. „Ich liebe Wind“, sagt die 38-Jährige und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Auch wenn es nicht immer einfach ist.“ Es ist eine Liebe mit Höhen und Tiefen. Vor dreizehn Jahren erlebte Denecke das Abenteuer ihres Lebens: Ein Jahr lang überwinterte die Geophysikerin mit acht Mitstreitern auf der Forschungsstation Neumayer II – dem Vorgänger der heutigen Neumayer-Station III – mitten in der Antarktis, um für das Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung Daten über Umwelt und Wetter zu sammeln. „Und sogar in der Antarktis hatten wir eine Windkraftanlage“, erzählt sie sichtlich begeistert. Das Windrad trug zur umweltfreundlichen Energieversorgung der Station bei.

Schwerpunkt am IWES bildet das Testen von Neuentwicklungen

Später gehörte Denecke als Mitarbeiterin des Windanlagenherstellers Adwen mit zu denen, die den Aufstieg der Branche in Bremerhaven vorantrieben. Dann schlitterte ihr Arbeitgeber in die Krise, baute Hunderte Stellen ab und stellte schließlich die Produktion ein. Eine schwere Zeit, nicht nur für Denecke. Ihrer Lieblingsbranche blieb die Physikerin trotzdem treu: 2017 wechselte sie innerhalb der Seestadt zum renommierten Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme, kurz IWES. Hier werden vor allem Neuentwicklungen getestet. Internationale Hersteller können eine nach Institutsangaben weltweit einzigartige Prüfinfrastruktur nutzen, um bei neuen Technologien die Risiken zu erkennen und sie zu beseitigen. Neue Produkte können so schneller auf den Markt gebracht werden.

Forschende wagen sich in 160 Meter Höhe

Denecke ist eine von knapp 220 Beschäftigten, die an den IWES-Standorten Bremerhaven, Bremen, Hannover, Oldenburg und Hamburg technische Lösungen für die Windenergiebranche erforschen. Als Abteilungsleiterin ist sie für Messungen an Windenenergieanlagen verantwortlich. „Um die Sensoren zu installieren, arbeiten wir direkt in den Blättern, der Gondel und im Turm der Anlagen“, erklärt Denecke. Je nach Größe der Windräder wagen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei in bis zu 160 Meter Höhe.

Der Wind hat sich gedreht

Im Oktober 2019 feierte das Institut seinen zehnten Geburtstag, und 200 Gäste aus Wissenschaft, Industrie und Politik kamen zum Gratulieren nach Bremerhaven. Das IWES-Jubiläum fällt allerdings in eine für die Branche schwere Zeit: Nachdem die deutschen Windunternehmen jahrelang von einem Rekord zum nächsten gejagt waren, bekamen sie ab 2017 unter anderem wegen langer Genehmigungsverfahren und fehlender Flächen ordentliche Dämpfer. In den ersten neun Monaten des Jahres 2019 gab es nach Angaben der Fachagentur Windenergie an Land e.V. den schwächsten Zubau an Windrädern in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Zwischen Januar und September gingen nur 150 neue Anlagen ans Netz.

Internationaler Markt entwickelt sich besser als der deutsche

„Noch bekommen wir die Flaute auf dem deutschen Windmarkt nicht zu spüren“, sagt der stellvertretende Institutsleiter Professor Jan Wenske. „Wir haben viele Kunden im Ausland und weltweit sieht der Markt ganz gut aus.“ Zu dieser Einschätzung kommt auch die Commerzbank. Während in Deutschland der Ausbau der Windenergie schwächelt – an Land sowie in Nord- und  Ostsee – entwickelt sich der internationale Markt laut einer Studie der Bank sehr viel günstiger.

„Wir sind hier gut aufgehoben“

Besonders hart hat die deutsche Windkrise Bremerhaven getroffen: Unternehmen wie Adwen, Powerblades und Senvion sind inzwischen stark geschrumpft, mussten Insolvenz beantragten oder ihren Betrieb einstellen. Geblieben ist wie ein Fels in der Brandung das IWES, das am Standort Bremerhaven auch künftig festhält. „Wir sind hier gut aufgehoben“, betont Jan Wenske. „Wir beschäftigen 150 unserer 200 Mitarbeitenden in Bremerhaven, sind über den Hafen direkt an den Seeweg angebunden und haben hier unsere Testhallen stehen, in die wir viel Geld investiert haben.“

IWES bietet Teststände der Superlative

80 Millionen Euro sind in die Prüfinfrastruktur des IWES geflossen, mit der die Forschungsteams Anlagenkomponenten unter realen Bedingungen testen. Bei der Prüfung von Gondeln – also der Maschinenhäuser – wird die gewaltige Power des Windes nachgebildet. Dafür nutzen die Beschäftigten eine hydraulische Krafteinleitung mit sechs Servozylindern. Ein einziger Zylinder überträgt dabei die Kraft, die zum Anheben von hundert Elefanten ausreicht.

Auf den Blattprüfständen untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, welche Belastungen ein Rotorblatt aushält. Dafür wird das Blatt etwa drei Millionen Mal auf und ab und hin und her geschwungen. Um Produktionsverfahren optimieren zu können, hat das IWES in Bremerhaven auch eine eigene Fertigungshalle für Rotorblätter.

Hersteller übertrumpfen sich mit immer neuen Rekorden

Die Veränderungen in der Branche stellen das Institut vor neue Herausforderungen: Kleine Hersteller verschwinden von der Bildfläche, die großen Player machen das Spiel unter sich aus und übertrumpfen sich gegenseitig mit immer neuen Rekorden. Das längste Blatt ist mittlerweile 107 Meter lang, einige Generatoren verfügen heute über eine Leistung von zwölf Megawatt. Die Blattprüfstände des IWES sind bisher nur für Rotorblätter mit einer Länge von 90 Meter ausgelegt, der Gondelprüfstand reicht für Generatoren mit einer Leistung von zehn Megawatt.

 


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