Eine Tonne „grüner“ Wasserstoff pro Tag
Auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes entsteht ein Testfeld für Elektrolyseure
Der Bremer Senat hat das Projekt „Wasserstoff – grünes Gas für Bremerhaven“ beschlossen. Im Rahmen dieses Modellprojektes will das Fraunhofer IWES auf dem Gelände des ehemaligen Flugplatzes Luneort ein Elektrolyse-Testfeld aufbauen. Damit soll mit Hilfe von Windkraft „grüner“ Wasserstoff produziert werden, der perspektivisch in der Industrie oder auf dem Mobilitätssektor verwendet werden kann.
In der offiziellen Vorstellung des Pilotprojektes bestätigte Dr. Claudia Schilling, Senatorin für Wissenschaft und Häfen, vor wenigen Tagen, Bremerhaven zum Kompetenzzentrum für Wasserstoff ausbauen lassen zu wollen. Das Modellprojekt „Wasserstoff im Fischereihafen Bremerhaven“ sei zunächst für einen Zeitraum von zwei Jahren von Januar 2020 bis Dezember 2021 vorgesehen. Dafür sollen Mittel von rund 20 Millionen Euro jeweils zur Hälfe aus EU- und Landesmitteln fließen.
„Mit diesem Projekt im südlichen Fischereihafen werden wir auch die Entwicklung des nachhaltigen Gewerbegebiets LuneDelta und die Etablierung der Green Economy in Bremerhaven vorantreiben,“ ist sich Schilling sicher.
Erneuerbare Energien und Technologien zur Gewinnung regenerativer Energien sind sowohl unter ökologischen als auch unter ökonomischen Gesichtspunkten zunehmend ein zentrales gesellschaftspolitisches Thema. Vor diesem Hintergrund des sich wandelnden Energiesystems spielt die Produktion von Wasserstoff als Speichermöglichkeit von Windenergie im Norden eine gewichtige Rolle.
Windenergiestandort Bremerhaven prädestiniert
Für das Land Bremen ist der Windenergiestandort Bremerhaven ein idealer Standort zum Ausbau der Wertschöpfungskette. Im wissenschaftlichen Bereich wurde hier seit 2009 das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES mit dem Rotorblattkompetenzzentrum und dem Gondelprüfstand (DynaLab) aufgebaut. Darüber hinaus ist die Hochschule Bremerhaven mit dem Institut für Windenergie (fk-wind) ebenfalls im Bereich der Windenergieforschung und der Anwendung von „grünem“ Wasserstoff – in enger Zusammenarbeit mit dem Technologie Transfer Zentrum (ttz) – tätig. IWES, Hochschule und ttz werden nun partnerschaftlich Geschäftsmodelle, Lieferprozesse und Lieferverträge für grünen Wasserstoff entwickeln und die Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung mbH (BIS) regelmäßig über Inhalte und Ergebnisse informieren, auch mit Blick auf Neuakquise.
„Wasserstoff könnte sich zu dem Energieträger der Zukunft entwickeln,“ meint Prof. Dr. Carsten Fichter von der Hochschule Bremerhaven. Der Projektleiter für die Anwendungsbereiche, quasi Best Practise-Fälle Wasserstoff, spricht von insgesamt vier Bereichen, wo eine CO2 neutrale Versorgung mittels Wasserstoff bei Unternehmen vorort erreicht werden soll. „Wir wollen beispielsweise durch die Kopplung von Windstrom und Wasserstoff alternative Kraftstoffe für die maritime Wirtschaft und Schifffahrt nutzbar machen.“
Zu den weiteren Anwendungen zählen nach Aussage von Fichter das Thema Mobilität und Logistik (Benchmarking und Monitoring zur Umrüstung von LkWs für Wasserstoff), die Entwicklung eines Wasserstoff-Ofens als Prototyp für die Lebensmittelproduktion sowie „autarke Einheiten (Microgrids)“, die sich auf regional begrenzte Gebiete beziehen, die sich vollständig aus erneuerbaren Energien versorgen können.
Fichter: „Mit dem Modellversuch in der Wasserstoffwirtschaft sollen übergreifend Methoden zur Senkung der realen Kosten bei Produktion, Verteilung und Nutzung erforscht werden, zugleich die wesentliche Voraussetzung für eine forcierte Marktentwicklung.“
IWES plant Teststruktur auch für Industriekunden
Das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES hat einen EFRE-Förderantrag für das Modellprojekt (Elektrolyse-Testfeld) eingereicht. Von der Investitionssumme sind 16 Mio. Euro für die Teststruktur vorgesehen, vier Mio. Euro zur Erprobung der Anwendungsfelder. „Wir werden das Verfahren der direkten Elektrolyse mit Windstrom im Megawatt-Bereich herstellerunabhängig prüfen und optimieren“, so der stellv. Institutsleiter Prof. Jan Wenske. Wenn die Anlage erst einmal durchläuft, soll pro Tag eine Tonne Wasserstoff produziert werden.
Die Physikerin Nora Denecke vom Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme leitet das Projekt des IWES vor Ort. Es soll ein bestehender Hangar des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) auf dem Areal des ehemaligen Flugplatzes Luneort angemietet werden. Dort werden zehn Stellplätze für Elektrolyseure der Megawattklasse geschaffen werden, auch um im Anschluss an das Modellprojekt weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte durchführen zu können, sagt Denecke. Für das jetzt beschlossene wegweisende Modellprojekt werden daher zwei Elektrolyseure der 1MW Klasse im Hangar aufgebaut, zukünftig sollen weitere acht Stellplätze geschaffen werden.
Nutzen will das IWES außerdem eine im Rahmen eines anderen Großforschungsprojektes angemietete 8 MW Windenergieanlage (ein ADWEN AD8-180). Der hieraus gewonnene Strom soll beim Bremerhavener Wasserstoff-Modellprojekt für die Umwandlung in Wasserstoff durch Elektrolyse genutzt werden.
Netzwerkrückkoppelung im Fokus
Aufgabe des neuen Testfelds soll laut Denecke nicht nur die Erzeugung von Wasserstoff sein. „Es sollen vor allem auch die elektrischen Eigenschaften und die Netzrückkopplung untersucht werden.“ Damit sind Umrichter- und Regelungssysteme gemeint, die notwendig sind für die stabile Einspeisung ins Stromnetz aber auch für die Bereitstellung der Elektrolyseurenergie.
Das Elektrolyse-Testfeld soll elektrisch nicht nur mit der Windenergieanlage sondern auch mit dem Gondelprüfstand Dynamic Nacelle Testing Laboratory (DyNaLab) des IWES verbunden werden. Ebenfalls werden Anschlüsse des Testfeldes an das örtliche Stromnetz hergestellt. Insgesamt müssen hierfür rund 300 Meter Kabel und elektrische Leitungen auf dem ehemaligen Flughafengelände verlegt werden
Nachhaltige Forschung für neue Arbeitsplätze
Mittelfristig sei ein weiteres Ziel, in einem Forschungsbetrieb Industriekunden die Möglichkeit zu geben, die elektrischen Eigenschaften von neuen Elektrolyseuren im Zusammenspiel mit der fluktuierenden Stromeinspeisung aus erneuerbaren Energien, wie beispielsweise der Windkraft, zu testen.
Noch ist die Wasserstoff-Technologie ein Zusatzgeschäft. Ganzheitliche Modellversuche (Produktion, Verteilung, Nutzung) der Wasserstoffwirtschaft wie nun auf dem Flughafengelände Luneplate sind unerlässlich, damit die realen Kosten von Herstellung, Verteilung sowie Nutzung von Wasserstoff mittelfristig sinken, so Denecke. „Für die künftige großskalige Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ist die nun aufgelegte Forschung dauerhaft mit Blick auf den großflächigen Aufbau von Elektrolyseurkapazitäten eine wesentliche Voraussetzung.“
Mit der Weiterentwicklung Bremerhavens als das Wasserstoffzentrum im Norden könnte ein neuer Wirtschaftszweig mit regionalwirtschaftlicher Bedeutung und damit neuen Arbeitsplätzen entstehen.
Um Anwohner und Interessierte über die Technologie und das Vorhaben zu informieren und ggf. bestehende Bedenken abzubauen, ist es vorgesehen, eine Informationsmöglichkeit zum Thema Wasserstoff zu errichten. Konkret soll hierfür am Testfeld ein Raum geschaffen werden, in dem Besuchergruppen die Technologie und das Testfeld sowie konkrete Anwendungen im Fischereihafen und im Gewerbegebiet Lune Delta vorgestellt und nahegebracht werden.